Redebeitrag der AIHD/iL bei „Weststadt stellt sich quer“

Rund achtzig Menschen nahmen am 23.02. an der Kundgebung auf dem Wilhelmsplatz gegen die Umtriebe der Coronarelativierer teil. Danke für euer Kommen, ein besonderes Danke geht an die Antifa Jugend Walldorf und die Omas gegen Rechts Rhein-Neckar für ihre sehr guten Redebeiträge.

Im Folgenden der Text unseres eigenen Redebeitrags.

„Es ist, wie bereits erwähnt, absurd und zynisch, von wem und wie sich hier seit Wochen angeblich für die Pflege eingesetzt wird. Die Belagerung des St. Josefskrankenhauses wirkt so, als wollten diese Leute sagen: für die Pflege gegen die Pflege – und zwar ob ihr wollt oder nicht!
Bei aller Wut auf den Egoismus einiger Menschen müssen wir genau bleiben bei der Betrachtung der Probleme, die wir haben. Und dementsprechend wollen wir gleich etwas festhalten: der Pflegenotstand ist nicht durch Coronaleugnung oder Impfverweigerung entstanden, es gab ihn schon lange vorher. Aber: die personelle Unterbesetzung in Pflegeheimen, Krankenhäusern und so weiter gibt Coronaleugner:innen und Impfverweiger:innen Macht. Denn auch wenn der Großteil der Pflegekräfte, wie beispielsweise im St. Josefskrankenhaus mit über 99%, geimpft ist, dies für richtig hält und es auch anderen empfiehlt, macht es die extrem angespannte Personallage möglich, dass eine Minderheit enormen Druck auf ganze Landesregierungen ausüben kann.
Damit kommen wir zu einem sehr wichtigen Punkt, den wir nicht vergessen dürfen:
Die Stärke der masken- und impfverweigernden Bewegung liegt bekannterweise nicht in ihren guten Argumenten. Es sind zu einem nicht zu unterschätzenden Anteil die Versäumnisse und Fehler der Regierungen, die die Bürger:innen zu ihnen treiben. Es werden große und laute Versprechungen gemacht, die wieder relativiert werden. Viele Regeln wurden aufgestellt und wöchentlich verworfen, Vorschriften für private Treffen waren völlig andere als auf der Arbeit, überhaupt wurde der Bereich der Lohnarbeit lange überhaupt nicht reglementiert. Einige Bürger:innen merken, dass im Krisenmanagement wirtschaftliche Interessen Vorrang hatten und haben, ziehen aber viel zu einfache Schlüsse daraus, statt genau das zu kritisieren. Wenn ein korrupter CDU-Politiker mit Schutzmasken hunderttausende Euro verdient, ist das ein Riesenproblem, aber es sagt nichts über die Nützlichkeit einer Maske aus. Wenn private Pharmakonzerne mit Impfungen Milliarden verdienen, ist das ein Riesenproblem, das sagt aber erstmal nichts über die Nützlichkeit einer Impfung aus. Masken helfen, Impfungen helfen. Versprechungen, die nicht eingehalten werden, helfen nicht und sind stattdessen eine Steilvorlage für diejenigen, die die Chance sehen, mit dem gebrochenen Versprechen gleich auch einige unliebsame Fakten verschwinden zu lassen.
Und hier spannt sich der Bogen zur Frage, warum es bei aller notwendigen Kritik ein Problem ist was sich momentan hier und anderswo auf den angeblichen „Maßnahmenkritikerdemos“ abspielt- und warum eine echte Kritik nicht gemeinsam statt finden kann.
Trotz gegenteiliger Behauptungen zeigt sich zunehmend deutlich, dass das gewünschte Ziel dieser Aufmärsche weder Diskussion über noch Abwägung von Maßnahmen ist, sondern gegen jegliche Coronaschutzmaßnahmen an sich protestiert wird. Ziel sind nicht bessere, gerechtere oder zielführendere Maßnahmen der Pandemiebekämpfung, sondern gar keine- zumindest keine verbindlichen. Schon relativ unproblematische Maßnahmen wie das Masketragen in bestimmten Innenräumen werden dämonisiert und mit Falschinformationen aufgeladen- jeder kennt die gern verwendeten Bezeichnungen Maulkorb oder Knebel. Wohin das führt zeigt sich im Alltag von Verkäufer:innen oder Beschäftigten im Nahverkehr mittlerweile täglich- auch der Mord an Alex in Idar-Oberstein ist darauf zurück zu führen.
Besonders deutlich zeigt sich das am Umgang mit den Coronaschutzimpfungen. Während nach außen sehr viel Wert darauf gelegt wird lediglich „freie Entscheidung für jeden“ zu fordern gehört die Streuung von Desinformation zum Kernmerkmal. Ein Beispiel dafür: als vorgestern der Trauermarsch der Studierenden in Heidelberg statt fand regte ein Mitglied der internen Telegramgruppe der Maßnahmengegner an, doch ebenfalls an diesem Tag auf den üblichen „Spaziergang“ zu verzichten. Der Demoleiter und Redner von letzter Woche hier auf dem Wilhelmsplatz, nach eigener Aussage Krankenpfleger, unterband dies sofort mit dem Einwand man dürfe wegen SO ETWAS nicht nachlassen- und außerdem seien an den Impfungen ja viel mehr Menschen gestorben als dort im Hörsaal.
Die Tatsache dass vor allem Menschen mit schwachem ökonomischen Status an Covid erkranken und eine insgesamt höhere Krankheitslast zu tragen haben ist für diese Bewegung eher Argument gegen eine Bekämpfung, können die meisten von ihnen doch vergleichsweise sicher sein, gut aus der Nummer raus zu kommen. Die Lasten tragen andere, auch durch die nicht unerheblichen Auswirkungen von Long Covid- laut einer Schätzung sind aktuell über anderthalb Millionen Arbeiter:innen in den USA von Long Covid betroffen, ohne eine auch nur mittelfristige soziale Absicherung.
Aktivist:innen die sich beispielsweise dafür einsetzen dass geflüchtete Menschen Zugang zu Aufklärung und Information über Coronaschutzimpfungen erhalten werden von diesen angeblichen Vertretern einer „freien Entscheidung“ als „regierungshörige Spritzenfanatiker“ bezeichnet. Ob einer derjenigen die (sei es auf Demos oder Talkshows) relativierendes Raunen von sich geben und den Mund voll „Freiheit“ nehmen bereit ist den Menschen gegebenenfalls ganz praktisch zu helfen, wenn sie für längere Zeit erkrankt sind? Eine Frage auf die wir die Antwort kennen: nein.
Aus Großbritannien wurde bekannt dass auf den Höhepunkten der Infektionswellen Menschen mit sogenannter Lernbehinderung aktiv von Behandlungen ausgeschlossen wurden, darunter viele Menschen mit Trisomie 21, und auch in der BRD sind Fälle wie unlängst in Tuttlingen bekannt, in der Verantwortliche in Heimen für behinderte und alte Menschen aufgefordert wurden, die ihnen Anvertrauten im Fall einer Erkrankung nicht mehr in die Klinik bringen zu lassen- was eine stille Vorverlegung der Triage bedeutet. Das ist ein Skandal der viel zu wenig Aufmerksamkeit erfährt! Alle Menschen müssen, egal in welcher Krise, das gleiche Recht auf eine angemessene Behandlung haben.
Alle angeblichen Forderungen wie „Stärkung der Pflege“ oder „Schutz der Kinder“ sind nur Behauptungen, um das eigene selbstzentrierte Anliegen zu verschleiern. Als unlängst Schülervertreter wohlgemerkt aufgrund der Untätigkeit von uns Erwachsenen- eine Petition gestartet haben, um ein paar Luftfilter, bessere Schulausstattung und mehr Lehrpersonal zu fordern (nach zwei Jahren Pandemie), wurden diese übel attackiert und verhöhnt und als „verwöhnte lebensuntaugliche Gören“ bezeichnet. Im gleichen Maß wie sich Wut und Abwertung über jene ergießt, die sich von ihnen nicht vertreten lassen wollen, wie etliche Schüler oder Pflegekräfte, wird sich selbst bemitleidet und zu den abwegigsten Vergleichen gegriffen. Shoahrelativierung gehört dort längst zum guten Ton in wirklich sämtlichen ekelhaften Facetten. Aktionsformen wie das Aufstellen von Schuhen, die man bisher von der Erinnerung an Opfer von Femiziden oder im Mittelmeer ertrunkene Menschen kannte, die werden heute für diejenigen gehalten, die wegen Nichtimpfung nicht in die Sauna können. Am Jahrestag des Attentats von Hanau fand in Freiburg eine Schilderaktion der Querdenker statt „in Solidarität mit den Opfern der Diskriminierung“- gemeint waren Menschen die sich vor dem Shoppingerlebnis kostenfrei auf Corona testen lassen müssen. Und dies sind nur wenige von vielen Beispielen, auch hier in Heidelberg.
Es ist aus den genannten Umständen kein Zufall und auch keine einfache Begleiterscheinung, dass sich Rechtsradikale aller Couleur bei diesen Protesten akzeptiert und zuhause fühlen, darunter die AfD mit ihren örtlichen Vertretern. Wenn es darum geht, Probleme entweder nicht als solche anzuerkennen oder ihnen mit falschen Lösungen zu begegnen, sind diese Leute nie weit. Timethy Bartesch, Sven Geschinski, Alice Blanck, ein paar der lokalen AfD-Politker:innen, besuchen und bewerben Demos wie die hier in der Weststadt immer offener. Sie müssen sich trotz ihrer Bekanntheit als Vertreter:innen einer antidemokratischen Partei keine Sorgen machen, irgendwelche Anfeindungen zu erleben und schaffen es immer wieder, aus den – unter anderem von ihnen selbst – erzeugten und geschürten Ängsten der Bürger:innen politisches Kapital zu schlagen.
Freiheit kann sich nicht darin erschöpfen, sich in einer Pandemie nicht impfen lassen zu sollen und sie lässt sich ganz sicher nicht gemeinsam mit Rechten, Sozialdarwinist:innen und Egoist:innen verteidigen.
Wir brauchen eine Kritik, die die Verhältnisse von Zwang und Ausbeutung angreift und keine die am eigenen Bauchnabel (oder Oberarm) aufhört und wir laden euch alle ein, euch an zu schließen.
Wir hoffen, dass wir als Stadtteil und als Stadt mehr in Kontakt kommen, um uns zu überlegen, wie und was wir diesen Leuten entgegenhalten. Unsere Kundgebung ist dafür nur ein erster Schritt. Wir können leider nicht darauf hoffen, dass der Spuk in der Weststadt mit dem Sommer ein Ende nimmt. Uns allen sollte mittlerweile auch klar sein, dass die Rollladen runter zu lassen und die Sache aus zu sitzen keine angemessene Option ist.
Es ist Zeit, selbst laut zu werden.“

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