Redebeitrag bei der Kundgebung „Menschen schützen statt Grenzen schützen!“

Sehr kurzfristig hatten antirassistische Gruppen und Initiativen für den 29. Oktober 2021 zu einer Demonstration aufgerufen, um gegen die menschenverachtende Politik der Abschottung und die mörderische Situation an den EU-Außengrenzen zu protestieren. Bei der Abschlusskundgebung auf dem Uniplatz hielten wir die folgende Rede:

Liebe Freund*innen, liebe Antifaschist*innen,

wir haben uns heute wieder die Straße genommen, um unsere Wut über die Schreckensmeldungen von den europäischen Außengrenzen zu äußern. Geflüchteten-Lager brennen ab, neue gefängnisartige Internierungslager werden in Windeseile hochgezogen. Menschen auf der Flucht lässt man verhungern, verdursten, ertrinken, erfrieren.

Laut Medienberichten benutzt der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko seit einiger Zeit Geflüchtete gezielt als Druckmittel, um gegen die EU-Sanktionen gegen ihn aufzubegehren. Dass das funktioniert, kann man an der panischen Aufrüstung an der Grenze zwischen Belarus und Polen sehen. Aber auch in Deutschland gibt es jetzt schon Erwägungen, die Grenze zu Polen stärker zu überwachen, da die kleine Anzahl an Menschen, die es bis dorthin schafft, reaktionäre Kräfte in Alarmbereitschaft versetzt hat.

Letzte Woche gab es dann Meldungen darüber, dass bewaffnete Neo-Nazis aus dem Umfeld der faschistischen Partei „Der dritte Weg“ an der deutsch-polnischen Grenze abgefangen wurden. Sie wollten dort vermutlich die Grenzübergänge kontrollieren. Wir wollen das mal mit einer einfachen, aber trotzdem weitreichenden Erkenntnis kommentieren: Dass Nazis an den Außengrenzen patrouillieren, ist schlichtweg überflüssig. Die jeweiligen Grenzregime gehen mit den Geflüchteten so unmenschlich um, dass sich Konservative bis Rechte eigentlich zufrieden zurücklehnen könnten, während der Rest schockiert zu- oder gleichgültig wegschaut.

Eins muss jedoch klar sein: dass Menschen zu geopolitischen Spielbällen gemacht werden, liegt nicht allein an rücksichtslosen Despoten wie Lukaschenko, Orban oder Erdogan. Diese menschenverachtende Art der Politik funktioniert nur, weil man sich sicher sein kann, dass die EU fast alles tun wird, um nicht mehr Geflüchtete aufnehmen zu müssen. Wenn in Migrationsfragen immer wieder lokale und progressive Vorschläge verworfen werden, wird dies oft damit begründet, dass es stattdessen eine „Europäische Lösung“ geben müsse. Das klingt so, als wäre diese noch nicht gefunden worden. Es gibt sie aber schon lange. Die Europäische Lösung lautet: abschotten, abschieben, abschrecken. Die Entrechtung von Geflüchteten ist kein Fehler im derzeitigen System, sondern sie ist das derzeitige System.

Es ist gut und wichtig, dass wir Druck aufbauen und damit versuchen, die Regierenden in die Verantwortung zu nehmen. Wir können es aber nicht bei Appellen und Forderungen belassen, vor allem dann nicht, wenn diese immer wieder ins Leere laufen. Wir müssen die Solidarität und den Kampf gegen die Abschottung selbst organisieren. Auf dem Meer gibt es beispielsweise die Seenotrettung, was organisieren wir also für das Festland? Auch hier muss die Solidarität praktisch werden.

Wenn es möglich ist, diese Festung Europa zu Fall zu bringen, dann nur, wenn sie von beiden Seiten bekämpft wird. Genauso, wie wir Menschen auf ihren Fluchtstationen unterstützen und die Fluchtursachen, wie Krieg und Klimawandel, an der Wurzel packen müssen, muss die europäische Abschottungspolitik mit ihren postkolonialen Strukturen auch von innen bekämpft werden. Die verschiedenen Kämpfe müssen innerhalb und außerhalb verbunden werden, wo es möglich ist. Unser gemeinsames Ziel muss dabei eine Welt sein, in der niemand mehr fliehen muss und in der alle dahin gehen können, wo es ihnen gut geht.

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