Am Sonntag, 28. Februar 2021 versammelten sich auf dem Heidelberger Marktplatz Dutzende Menschen zu einer Kundgebung in Solidarität mit dem politischen Gefangenen Dimítris Koufontínas, der seit dem 8. Januar im griechischen Hochsicherheitsgefängnis Domokós im Hungerstreik und seit dem 22. Februar zusätzlich im Durststreik ist. Angesichts seines inzwischen lebensbedrohlichen Gesundheitszustands rief die Soligruppe ΦΥΤΙΛΙ – fytili (Docht) kurzfristig zu einer Protestaktion auf, bei der auch mehrere weitere Gruppen, darunter die Rote Hilfe OG HD/MA und wir, einen Redebeitrag hielten.
Im Folgenden dokumentieren wir unsere Rede:
Mit Griechenland haben wir es mittlerweile mit einem Staat der Europäischen Union zu tun, in dem die Orbanisierung voranschreitet. Seit die neoliberal-reaktionäre Partei Néa Dimokratía (ND) im Juli 2019 die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, betreibt sie mit Vehemenz die autoritäre Umgestaltung des griechischen Staates. Allen voran ihr so genannter Bürgerschutzminister, der eine neue Verwaltungsvorschrift für die Polizei durchgepeitscht hat. Dagegen sind die hiesigen, in bodenlose Willkürmaßnahmen frisierten Landespolizeiaufgabengesetze die Sicherstellung von allgemeinen Grund- und Freiheitsrechten. Wir können uns hier nur auf die absurdesten Vorschriftselemente einschießen: Von nun an ist es in Griechenland möglich, dass jede Person, die einer polizeilichen Anordnung keine Folge leisten will, bis zu sechs Monate in den Knast kommen kann; dass Demonstrant*innen, die Beamt*innen „beschimpfen“, bis zu drei Jahre weggesperrt werden können; dass diese drakonische Strafe kollektiv alle bei einem Aufzug versammelten Demonstrant*innen treffen kann, eben auch die, die gar nicht „beleidigt“ haben; dass Demo-Anmelder*innen über die Finanzämter haftbar gemacht werden können für alles, was während „ihrer“ Demonstrationen strafrechtlich relevant wurde und damit bußgeldbewehrt ist; dass im Vorfeld von Versammlungen Aktivist*innen präventiv festgenommen werden können, ohne dass ihnen irgendeine Straftat zur Last gelegt wird; dass Journalist*innen in so genannte Schutzzonen weit weg vom eigentlichen Demo-Geschehen verwiesen werden, um Augenzeug*innenreportagen und vor allem das „unautorisierte“ Filmen und Fotografieren brutaler Polizeigewalt zu verhindern. Und so weiter.
Was in den letzten Jahrzehnten nach der Militärjunta in Griechenland auch eher selten war, aber jetzt durchaus zu einem Modus Operandi der unkontrollierbaren Exekutivorgane werden könnte, ist die Umgehung des Parlaments bei versammlungsrechtlichen Entscheidungen im Hinblick auf das prinzipielle Gewährenlassen vormals geschützter Grundrechte – die beiden wichtigsten, stets von massenbewegten Kundgebungen, Aktionen und Demonstrationen begleiteten Gedenktage der radikalen Linken Griechenlands wurden im letzten Jahr einfach komplett verboten: Der 17. November, also der Jahrestag der blutigen Niederschlagung des Polytechnikum-Aufstands gegen die Militärdiktatur 1973, und der 6. Dezember, also der Jahrestag der Ermordung von Aléxandros Grigorópoulos durch Polizeibeamte 2008.
Das hat selbstverständlich weit reichende Auswirkungen auf die Ausdrucks- und Aktionsformen radikal linker Organisationen und Bewegungen in Griechenland, auf emanzipatorische Kämpfe im Allgemeinen. Und führt – unter der staatlichen Maxime, dass alles, was dem herrschenden System in grundlegend kritischem Sinne zuwiderläuft, eine „nationale politische Gefahr“ darstelle -, zu vielen Festnahmen von Aktivist*innen, die beispielsweise gegen den Goldabbau in Chalkidikí aktiv sind. Einer von ihnen ist Errol, ein seit acht Jahren in Griechenland lebender Franzose: Er wollte mit vielen anderen Menschen zusammen am 6. Dezember 2020 im Athener Stadtteil Exárchia Blumen am Tatort der Ermordung von Aléxandros niederlegen; dieses Gedenken wurde von einem martialischen Aufgebot diverser Spezialkommandos brutalst zerschlagen; dabei wurde neben fast 400 weiteren Personen auch Errol festgenommen. Ihn hat schließlich am 19. Dezember eine außerhalb jeder Kontrolle operierende „Anti-Terror-Einheit“ ins Flugzeug nach Frankreich verschleppt; auf dem Flughafen in Paris ist er dann sofort freigelassen worden.
Es hat aber auch weit reichende Auswirkungen auf die Bedingungen in den griechischen Knästen und die Haftsituationen politischer Gefangener. Und hier im Besonderen auf den bekanntesten politischen Gefangenen, Dimítris Koufontínas. Er ist von der „Revolutionären Organisation 17. November“, die von 1975 bis zu ihrer Zerschlagung 2002 mehr als 100 Anschläge verübte. Koufontínas verbüßt eine Haftstrafe von elfmal lebenslänglich zuzüglich 25 Jahren. 2018 wurde er ins Agrargefängnis von Vólos verlegt; dort konnte er seine Haftzeit durch Arbeit verkürzen. Seit 2010 hatte er Anspruch auf Hafturlaub, was ihm ab 2017 insgesamt sechsmal gewährt wurde. Nun hat ihn aber der neue autoritäre Obrigkeitsstaat per Dekret, das inoffiziell seinen Namen trägt, von allen Hafterleichterungen ausgeschlossen und eine Verlegung aus dem Agrargefängnis durchgesetzt. Nun sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis von Domokós mehrere Hundert Kilometer von Athen entfernt, wo er zumindest in der Nähe seiner Angehörigen wäre. Um gegen diesen beispiellosen Fall willkürlichen Eingriffs in das offensichtlich ausgehebelte Justizsystem zu protestieren, ist Koufontínas am 8. Januar 2021 in einen Hungerstreik getreten, den er am 22. Februar zu einem Durststreik ausgeweitet hat. Mittlerweile schwebt er in akuter Lebensgefahr.
Wir fordern die umgehende, laut geltendem griechischem Gesetz garantierte Verlegung Koufontínas‘ in ein Gefängnis in Athen, das Ende der Schikanen, die Gewährung von Hafturlaubsansprüchen und letztlich seine Freilassung!
Für die Auflösung des „Bürgerschutzministeriums“!
Freiheit für alle politischen Gefangenen!