Demo am 30.4.: Kurzbericht und Reden der AIHD/iL

Über 450 Menschen haben am 30. April 2023 in Heidelberg gegen reaktionäre, sexistische Studentenverbindungen demonstriert. Unsere antifaschistische Demonstration unter dem Motto „Verbindungen kappen! Reaktionäre Männerbünde zerschlagen!“ zog, angeführt von einem lautstarken FLINTA*-Block, vom Bismarckplatz durch die Altstadt. Die Route führte auch vorbei an Häusern studentischer Verbindungen und Burschenschaften, wobei Kurzbeiträge vom Lautsprecherwagen auf einige von ihnen näher eingingen. In mehreren Reden wurde auf ihre Verstrickungen mit rechten Netzwerken, auf Geschichte und Gegenwart des korporierten Antisemitismus, auf ihren Anspruch als „Elite der Nation“ und auf den extremen Sexismus hingewiesen. Außer den Beiträgen von uns als AIHD/iL, die wir unten dokumentieren, sprachen die Omas gegen Rechts, die VVN-BdA Heidelberg und zwei Aktivistinnen.
Nur einige wenige Korporierte waren auf den Balkonen ihrer Häuser zu sehen. Auf dem Marktplatz ließen sich überhaupt keine Studenten in Couleur blicken.
Wir betrachten die Demonstration als großen Mobilisierungserfolg und freuen uns, dass so viele Menschen sich kämpferisch, laut und entschlossen beteiligt haben. Die Besuche bei den studentischen Verbindungen und Burschenschaften haben den Protest gegen ihre reaktionären Männerbünde direkt vor ihre Haustüren gebracht.
Um Mitternacht versammelte sich eine größere Gruppe Antifaschist*innen auf dem Heidelberger Marktplatz, um gemeinsam die Internationale zu singen und unmissverständlich klarzumachen, dass Burschis am Vorabend des Arbeiter*innenkampftags in der Altstadt nichts zu suchen haben.

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Reden der AIHD/iL, die am Haus der Burschenschaft Normannia gehalten wurden, sowie einige kürzere Beiträge zu einzelnen Verbindungen auf der Route:

Ein Zentrum des neurechten Milieus

In den letzten Reden wurde schon deutlich gemacht, dass studentische Verbindungen generell gezielt bei ihren Mitgliedern den autoritären Charakter trainieren und entsprechend Menschen mit reaktionären Haltungen in hohe Positionen befördern. Am Uniplatz wurde die historische Schuld der studentischen Verbindungen in Deutschland aufgezeigt. Hier wiederum wird nun der gegenwärtige offen faschistische Teilbereich des deutschen Verbindungsmilieus zum Thema. Hinter uns steht das Haus der Normannia Heidelberg. Immerhin hat jahrelanger antifaschistischer Druck bei der Naziburschenschaft schon zur massiven Dezimierung geführt. In dieser Verbindung waren bis vor ein paar Jahren der europaweit agierende Neonazi Christian Schaar, der neurechte Publizist Michael Paulwitz gemeinsam mit dem hochrangigen Polizeifunktionär und Vizevorsitzenden der Mannheimer CDU Egon Manz und dem ehemaligen MVV-Geschäftsführer Markus Prien. Letzter hatte seinen Job verloren wegen eines Fotos, bei dem er, umgeben von Verbindungsbrüdern in Wehrmachtsdevotionalien, bei einer Feier auf dem Haus der Normannen den Hitlergruß zeigt. Die anderen sind aus dem Lebensbund ausgetreten, um entweder ihre Karriere zu retten oder weil ihnen das Einknicken ihrer Verbindungsbrüder vor dem antifaschistischen Druck missfallen hat.
Die Normannia fiel immer wieder auf durch das Verteilen antisemitischer Flugblätter, durch extrem rechte Gastredner auf dem Haus oder durch bekannt gewordene NS-Verherrlichung, die praktiziert wurde. Trotzdem pflegen die anderen Heidelberger Verbindungen jeglicher Art ein freundschaftliches Verhältnis zur Normannia. Einem Mitglied der Landsmannschaft Afrania wurde dies zum Verhängnis: Nachdem er erzählt hatte, dass seine Großmutter jüdisch sei, wurde er bei einer Geburtstagsfeier auf dem Normannenhaus von Aktivitas der Normannia und so genannten Verbandsbrüdern aus Saarbrücken und Köln mit Gürteln geschlagen und mit Münzen beworfen. Wir verurteilen die antisemitsche Gewalt aufs Schärfste, sehen den Betroffenen aber trotzdem nicht nur als Opfer, sondern auch als Täter. Bei dem Prozess wurde wieder einmal bestätigt, was antifaschistische Gruppen schon immer gesagt haben: All die Distanzierungen von der Normannia oder anderen offen faschistischen Burschenschaften sind nur eine Fassade, um das eigene Ansehen und die eigene Karriere nicht zu gefährden. Hinter der Fassade stecken sie alle knietief im braunen Sumpf. Sie alle pflegen ein freundschaftliches Verhältnis untereinander, und sie alle sind Teil der gleichen verbindungsübergreifenden Bräuche und Sitten. Wir sagen klar: Wer mit Nazis säuft und feiert, macht Nazis bewusst salonfähig, macht sich an ihren Taten mitschuldig.
DIe Normannia ist aber längst kein Einzelfall in der Verbindungsszene: Vergangene Woche erst versuchten Mitglieder der ebenfalls im Dachverband Deutsche Burschenschaft organisierten Germania Gießen vermutlich gemeinsam mit Mitgliedern der sich gemäßigt gebenden Landsmanschaft Darmstadtia Gießen Autos vor einem linken Wohnprojekt anzuzünden, wobei sie ein mögliches Übergreifen der Flammen auf das Haus in Kauf genommen hätten. Glücklicherweise bemerkten die Bewohner:innen gerade noch rechtzeitig das Treiben und konnten die Angreifer in die Flucht schlagen.
Im Februar dieses Jahres hatte ein Burschenschaftler einen anderen mit einem Messer lebensgefährlich verletzt, weil das Opfer sich zuvor über das Abspielen von Nazimusik beschwert hatte. Der Vorfall wurde nur bekannt, weil aufmerksame Journalist:innen der Frankfurter Rundschau einer bagatellisierenden Meldung der Polizei nachgegangen sind.
In Heidelberg befinden sich über 30 studentische Verbindungen. Aber anstatt sich zu schämen, ein Zentrum des neurechten Milieus zu sein, wird das Verbindungswesen in der Stadtgesellschaft größtenteils verklärt und romantisiert. Mit Pralinen wie dem Heidelberger Studentenkuss, mit „Alt Heidelberg du Feine“-Touri-Produkten oder der Operette „The Student Prince“ entsteht der Eindruck, es sei einfach eine unpolitische Kultur, die praktiziert wird. Nicht darüber gesprochen wird, dass sogar die Heidelberger Polizei, bei aller ideologischen Nähe zum Verbindungswesen, innerhalb der Abteilung Staatsschutz eine eigene Abteilung für das Verbindungswesen eingerichtet hat.
Um es noch mal klar zu sagen: Das Problem sind nicht nur die bekannten offen faschistischen Verbindungen. Sie sind nur die sichtbaren Teile einer rechten Parallelgesellschaft, die ausgerichtet ist, ihre Mitglieder zu Knechten auszubilden, die in entsprechenden Positionen diejenigen knechten, über die sie Macht ausüben können. Als ein Mannheimer Student wegen seiner chinesischen Eltern eine Spaltung der Deutschen Burschenschaft verursacht hatte, weil er nicht den rassistischen Ansprüchen entsprach, die ein Gros der Mitgliedsverbände an ihre Mitglieder stellen, verkündete er im Nachgang noch, dass er stolz sei, Deutscher zu sein und seinem Land mit der Waffe gedient zu haben. Konflikte innerhalb der Verbindungsszene sind nie grundlegender ideologischer Natur, sondern als Flügelkämpfe innerhalb einer extrem rechten Subkultur zu sehen. Studentische Verbindungen sind nach wie vor keine harmlosen Traditionsvereine, sondern männerbündische Kaderschmieden im Dienste von Nationalismus, Sexismus und sozialer Ungleichheit. Sie sind nicht modernisierbar oder reformfähig – sie gehören schlicht auf den Müllhaufen der Geschichte.
Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass sie aus dem Stadtbild verschwinden. Deswegen feierten wir 20 Jahre lang das antifaschistische Straßenfest, und deswegen gehen wir seitdem am 30.04. auf die Straße, deswegen sind wir heute hier, und aus diesem Grund bleiben wir im Anschluss an die Demo in der Altstadt.
Ob Glatze, Schärpe oder Nadelstreifenanzug – kein Fußbreit dem Faschismus!

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Offener Sexismus und Antifeminismus

Die Normannia ist nicht nur berüchtigt für ihren gewaltförmigen Antisemitismus und Rassismus, für ihre NS-Verherrlichung und engen Kontakte zu Nazi-Strukturen. Genauso müssen der offene Sexismus, ihr patriarchales Weltbild und ihr Antifeminismus kritisiert werden. Damit steht die Burschenschaft allerdings nicht allein: Erklärtes Ziel der Korporationen ist die Bildung und Aufrechterhaltung einer nationalistischen, bürgerlichen Elite mit einem patriarchalen Grundkonsens, der Frauen eine passive Rolle als schmückende Stütze des Mannes zuschreibt.
Der Männerbundcharakter von Studentenverbindungen hat zweifache Wirkung. Zum einen: Von den verbindungsstudentischen Seilschaften profitieren nur Männer, dies verfestigt die reale Männerdominanz in den gesellschaftlichen Eliten. Zum anderen: In den Männerbünden wird ein überkommenes bipolares Geschlechtermodell konserviert, das ein Aufbrechen von Geschlechterstereotypen verhindert. Mit Männlichkeitsritualen – vom Saufen bis hin zu den Mensuren – wird das ewiggestrige Geschlechterbild zementiert.
Bei den großen Korporationsdachverbänden ist die strikte Verweigerung der Aufnahme von Frauen die Regel. Hier dürfen Frauen lediglich von Zeit zu Zeit als „Couleurdamen“ (also als schmückendes Beiwerk) bei Trinkveranstaltungen dienen. In den 1970er Jahren wurde zwar in einigen Dachverbänden die Aufnahme von Frauen diskutiert, letztendlich konnten sich diese Ideen aber nicht durchsetzen. Nur einzelne Verbindungen lassen inzwischen weibliche Mitglieder zu – was aber nicht sehr viel an ihrem sexistischen Weltbild ändert.
Begründet wird der Ausschluss von Frauen wie folgt: „Unser Burschentum ist immer auf eine bestimmte männliche Gruppe abgestimmt. Die menschliche Weltordnung ist auf das Männliche ausgerichtet“ (Burschenschaftliche Blätter 5/1980). Frauen gehören im Weltbild der Korporierten also schlicht und einfach nicht zu der von ihnen propagierten Elite, und für TINA-Personen ist in der Realität der Verbindungen ohnehin kein Platz. Das „Führen“ und Gestalten der Gesellschaft soll ausschließlich cis-Männern vorbehalten bleiben.
Das Frauenbild der Verbindungen scheint direkt aus dem 19. Jahrhundert übernommen, bestenfalls aus dem postfaschistischen Mief der 1950er-Jahre. Die angeblich „respektvolle“ Anrede von Frauen als „Damen“ – etwa als „Couleurdamen“ – atmet den Geist des adligen Sexismus der Kaiserzeit. Die vermeintliche „Höflichkeit“ gegenüber Frauen endet sofort, wenn diese gegen die engen Vorgaben des Geschlechterbilds verstoßen. Hat beispielsweise eine Frau wechselnde Beziehungen zu Verbindungsstudenten, ändert sich die Bezeichnung im Handumdrehen von der „Dame“ zur „Verbindungsmatratze“. Offenkundige Frauenverachtung und sexistische Gewaltfantasien sind der Standard – sie sprechen aus jedem Liederbuch der studentischen Verbindungen: Vergewaltigungshymnen gehören zu den Klassikern, die im Rahmen der „Traditionspflege“ regelmäßig angestimmt werden.
Die Korporierten verweisen gern darauf, dass es als Alternative zu den Männerbünden ja auch sog. Damenverbindungen gibt. Dass Frauen ihrerseits das sexistische Weltbild reproduzieren, macht es aber um keinen Deut besser.
Wir haben eure reaktionäre Männerbündelei und eure sexistische Kackscheiße satt. Die Möchtegern-„Eliten der Nation“ sind federführend dabei beteiligt, das Patriarchat aufrechtzuerhalten. Das lassen wir uns nicht länger bieten.
Klaut den Korpos Mützen, Bänder und Bierzipfel!
Burschenvillen zu Frauenhäusern!
Gegen Burschis und Sexisten – fight the power, fight the system!

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VDSt – Verein Deutscher Studenten

Hier in der Plöck, an der Treppe neben der Peterskirche, ist das Haus des VDSt, des Vereins Deutscher Studenten. Das Wort „Deutsch“ im Namen war schlichtweg im Sinn von „nichtjüdisch“ gemeint: Die Gründung des VDSt geht auf eine wüste antisemitische Kampagne zurück, die sich in den 1880er-Jahren zur Unterstützung des völkischen Historikers Heinrich von Treitschke formierte. Treitschke hatte in einem Pamphlet die Entrechtung der jüdischen Minderheit gefordert, unter anderem mit dem Spruch „Die Juden sind unser Unglück“ – ein Zitat, was später täglich auf der Titelseite der Nazi-Zeitung „Der Stürmer“ prangte.
Treitschke bekam zwar kräftigen Gegenwind von Linken und Liberalen, aber antisemitische Studenten unterstützten Treitschke und gründeten in vielen Universitätsstädten „Vereine Deutscher Studenten“ – eine neue Art von Verbindungen, die sich den Antisemitismus auf die schwarz-weiß-roten Fahnen geschrieben hatten. Der VDSt war in den folgenden Jahrzehnten treibende Kraft bei der Ausgrenzung jüdischer Studenten und mit verantwortlich für den massiven Anstieg der antisemitischen, völkischen und faschistischen Ideen unter Studierenden. In der Weimarer Zeit führten immer mehr Dachverbände der Studentenverbindungen „Arierparagrafen“ ein – noch lange vor dem Machtantritt der Nazis.
Auch wenn der VDSt sich heute einen liberaleren Anstrich zu geben versucht, vertuscht er seine antisemitische Geschichte. Zwar ist Antisemitismus heute nicht mehr so salonfähig wie damals, sondern wird auch in Verbindungskreisen als wenig karriereförderlich gesehen, aber Antisemitismus übelster Art ist weiterhin bei vielen Korporationen weit verbreitet. Der brutale antisemitische Übergriff auf dem Haus der Burschenschaft Normannia im Sommer 2020 war nur die Spitze des Eisbergs.

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Corps Suevia

Hier in der Klingenteichstr. 4 steht die Villa des Corps Suevia. Die reaktionäre Verbindung weist viele bekannte Mitglieder auf, die es dank des Karrieresprungbretts Männerbund in wichtige gesellschaftliche Positionen geschafft haben – beispielsweise Oberbürgermeister Eckart Würzner.
Berühmter ist jedoch ein anderes Mitglied: Als verdienter Alter Herr wird bei der Suevia beispielsweise auch heute noch der SS-Mann Hanns-Martin Schleyer gefeiert. Der hatte sich allerdings angesichts besserer Karrierechancen 1935 rechtzeitig aus dem Corps abgesetzt – mit der Begründung, dass die Verbindung den schon in der Weimarer Zeit im Corps eingeführten Arierparagrafen zu lasch umsetze. Schleyer machte dann eine steile Kariere bei den Nazis:
„Auslese bedingt immer zugleich Ausmerze”, schrieb er 1937 im Hochschulführer der Universität Heidelberg – und setzte dieses Motto als führendes Mitglied des Sicherheitsdiensts der SS in mörderischer Weise um.
Dennoch erklärte der Kösener SC-Verband:„Hanns Martin Schleyers Verdienste um sein Corps Suevia in Heidelberg sind Verdienste um das Corpsstudententum in schwieriger Zeit gewesen! Wo er seine Spuren hinterlassen hat, werden sie unauslöschlich bleiben.”
Das Beispiel Schleyer zeigt, dass der vollkommen unkritische Umgang mit der eigenen völkischen und nationalsozialistischen Geschichte ein elementarer Teil der Traditionspflege im Corps Suevia ist.

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Allemannia und Ghibellinia

Hier vorn in der Karlstraße ist das Haus der Burschenschaft Allemannia, die für ihre extrem rechten Positionen bekannt ist, auch wenn sie nicht ganz so offen mit faschistischen Strukturen verbandelt ist wie die Normannia. Sie stehen sich aber extrem nahe. Zum Beispiel organisierte die Allemannia zusammen mit der Normannia in früheren Jahren maßgeblich das rechte „Maiansingen“ hier in der Altstadt, immer mit Unterstützung aus der organisierten Naziszene.
Dass der AfD-Gründer Albrecht Glaser, der für seine üble antimuslimische Hetze bekannt ist, Alter Herr der Allemannia ist, sagt doch schon alles…
Direkt daneben ist das Haus der Ghibellinia, eine weitere farbentragende und schlagende Verbindung. Sie fiel in der Vergangenheit auch immer wieder durch reaktionäre Auftritte auf. Unter anderem war sie regelmäßiger Teil des so genannten Heldengedenkens auf dem von den Nazis errichteten Ehrenfriedhof. In Couleur traten sie dort zusammen mit der Burschenschaft Normannia und bisweilen auch bekannten Gästen aus der Nazi-Szene bei diesem militaristischen Spektakel auf und legten Kränze für die toten Nazis aus Wehrmacht und SS ab.

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