Am 28. November 2020 fand auf dem Heidelberger Marktplatz eine Kundgebung im Rahmen des dezentralen Aktionstags der Kampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“ statt, die sich gegen die anhaltende massive Kriminalisierung der Proteste gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg richtete. Unter dem Motto „Solidarität mit den G20-Angeklagten“ protestierten etwa 100 Aktivist*innen vor dem Rathaus gegen die Anklagen im sog. Rondenbarg-Komplex, die am kommenden Donnerstag, 3. Dezember 2020, mit einem Pilotprozess starten. Ab diesem Tag stehen die fünf jüngsten G20-Gegner*innen, die bei einem Protestzug Anfang Juli 2017 in der Hamburger Straße Rondenbarg von der Polizei brutal attackiert und festgenommen wurden, in Hamburg vor Gericht. Sie müssen über viele Monate hinweg wöchentlich zu ihren Verhandlungsterminen in den Norden fahren – obwohl ihnen gar keine individuellen Straftaten vorgeworfen werden, sondern nur die Anwesenheit in der Versammlung. Auch eine Genossin aus dem Raum Mannheim ist davon betroffen.
Während der Kundgebung auf dem Heidelberger Markplatz, die von 15 Uhr bis etwa 16.15 Uhr dauerte, wurden mehrere Reden und Grußworte gehalten. Nach einem Grußwort des italienischen G20-Aktivisten Fabio, der wegen der Rondenbarg-Vorwürfe 2017 fünf Monate in Untersuchungshaft saß, wurde der Aufruf der Antifaschistischen Initiative Heidelberg/Interventionistische Linke verlesen. Auch die fünf im Pilotverfahren Angeklagten hatten ein Grußwort zum Aktionstag verfasst.
In einer ausführlichen Rede schilderten Vertreterinnen von AKUT[+C] die dauerhaften Folgen der brutalen Polizeigewalt beim G20-Gipfel am Beispiel eines Genossen, der bleibende Schäden davontrug, und riefen zu einem kollektiven Umgang mit dieser Repressionsform auf. Es folgten die Grußworte des Bundesvorstands der Roten Hilfe e.V. sowie der im Rondenbarg-Komplex Angeklagten, die in Zürich vor Gericht gestellt werden sollen. Den Abschluss bildete eine Rede der neu gegründeten Solidaritätsgruppe fytili zu staatlicher Repression in Griechenland. Alle sieben Redebeiträge sind unten dokumentiert.
Die Kundgebung direkt an der belebten Fußgänger*innenzone wurde von vielen interessierten Passant*innen wahrgenommen, die oftmals für einige Minuten stehenblieben, um die Redebeiträge zu hören. An einem Informationstisch waren Flugblätter und Broschüren zum Thema erhältlich, was rege in Anspruch genommen wurde.
Die Aktion war ein wichtiges Signal der Solidarität mit den Betroffenen, aber sie war erst der Auftakt. In den nächsten Monaten werden wir weiterhin aktiv an ihrer Seite stehen, denn wie immer gilt:
Getroffen hat es wenige – gemeint sind wir alle.
Solidarität ist unsere Waffe!
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Grußwort von Fabio, der 2017/18 wegen Rondenbarg angeklagt war
„Mehr als drei Jahre sind seit dem G20-Gipfel in Hamburg vergangen. Wie viel Zeit auch vergeht, in uns allen ist die Erinnerung an diese Tage im Juli nicht auszulöschen. Die Sommerhitze, die Ankunft in der Stadt, der Gedanke, irgendwie dabei sein zu müssen: In diesem Moment und an diesem Ort.
Mehr als drei Jahre sind seit dem G20-Gipfel in Hamburg vergangen, und – so scheint es – die Erinnerung an diese Tage ist selbst aus den Köpfen der Richter*innen, Politiker*innen und Polizeiführung nicht mehr auszulöschen.
Nach all dieser Zeit beginnt der sogenannte „Rondenbarg-Prozess“. Den fünf Genoss*innen werden die gleichen Anschuldigungen gemacht, die mir vor dreieinhalb Jahren gemacht wurden. Die fünf Angeklagten tragen nun die Last einer großen Verantwortung auf ihren Schultern. Das Schicksal vieler anderer Demonstrationen in Deutschland wird von ihrem Prozess abhängen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir mit ihnen zusammenstehen.
Deshalb finde ich es wunderbar, was die Genoss*innen von „Gemeinschaftlicher Widerstand“ und generell alle machen, die irgendwie versuchen, die jungen Aktivist*innen nicht allein vor Gericht zu lassen.
Solidarität mit allen im Rondenbarg-Prozess angeklagten Genoss*innen!
Solidarität mit all denen, die den Preis des Kampfes gegen die Unterdrückung jetzt zahlen!“
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Aufruf der AIHD/IL zur Kundgebung am dezentralen Aktionstag am 28.11.:
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Grußwort der fünf im Pilotverfahren Angeklagten
„Liebe Genoss*innen,
als die 5 Angeklagten, die nun am kommenden Donnerstag in Hamburg vor Gericht stehen werden, wollten auch wir uns nun mal bei euch melden.
Die gesamten Aktionen am jetzigen Wochenende, am Donnerstag zum Prozessbeginn und auch die Demo am 05.12. – die Unterstützung und Solidarität von verschiedensten Seiten, die wir in den letzten Wochen erfahren haben, haben uns Kraft gegeben und uns greifbar gemacht, dass wir tatsächlich alle gemeint sind. Auch wenn es jetzt erstmal nur uns 5 getroffen hat, zeigt ihr so, dass wir alle zusammen stehen. Der Ausgang unseres Prozesses beeinflusst nicht nur die Verfahren gegen die knapp 80 weiteren Beschuldigten vom Rondenbarg. Er wird auch zeigen, inwieweit das Demonstrationsrecht beschnitten werden und linke Straßenpräsenz immer weiter kriminalisiert werden kann. Der Protest gegen die G20 und das kapitalistische System, für das sie stehen – Umweltzerstörung, Kriege; Flucht, Abschottung und Überwachung; Ausbeutung und Unterdrückung -, den wir damals gemeinsam auf die Straße getragen haben, ist immer noch legitim und notwendig. Wenn die Justiz uns deswegen verfolgt, dann zeigt sie schlicht und einfach nur, wessen Interessen sie durchsetzen soll: die der herrschenden Klasse.
Bewusst wird jetzt mit uns 5 jüngsten Angeklagten angefangen. Hinter der Begründung dafür, vermeintlich unsere Entwicklung nicht weiter zu behindern, steckt vielmehr die Möglichkeit für die Repressionsbehörden, diesen Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen und uns im Gerichtssaal zu isolieren.
Aber was soll überhaupt über 3 Jahre nach dem Gipfel verhandelt werden? Mehr als die Anwesenheit bei der Demo – wir 5 wurden im Rondenbarg festgenommen – kann niemandem der über 80 Betroffenen vorgeworfen werden.
Dennoch sollen wir für die nächsten Monate wöchentlich nach Hamburg fahren und so Studium, Ausbildung und unser sonstiges Leben auf den Kopf stellen…
Aber wenn wir uns hiervon verrückt machen und einschüchtern lassen, hat die Repression ihre Wirkung schon erzielt. Durch eure Solidaritätsaktionen schaffen wir es, auch weiter nach vorne zu blicken und das Gerichtsverfahren kämpferisch zu führen. Wenn wir als linke Bewegung genau das schaffen: weiterzumachen trotz Repression und weiterhin für eine solidarische Gesellschaft zu kämpfen – dann haben wir schon gewonnen.
Genauso wie wir gerade viel Solidarität erfahren, wollen wir allen anderen von Repression Betroffenen unsere Verbundenheit ausdrücken.
United We Stand!“
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Redebeitrag von AKUT[+C]: G20 geht nicht mehr aus dem Kopf.
Liebe Freundinnen, liebe Freunde, liebe Antifaschist*innen, liebe zufällig vorbeilaufende Menschen!
Auch wir begrüßen den Aufruf zum gemeinschaftlichen Widerstand gegen die G20-Prozesse und schließen uns dem solidarischen Protest an. Wir möchten unsere Reflexionen zu den Folgen von Polizeigewalt bei Aktionen des zivilen Ungehorsams mit euch teilen. Wir wollen eine Form von Repression benennen, die leider noch oft runterfällt: die der körperlichen Gewalt, der körperlichen Verletzungen. In Reaktion auf eine Kopfverletzung eines Genossen während der G 20 Proteste und den Folgen im Nachklang, entstand ein persönlicher Erfahrungsbericht, den wir in Teilen wiedergeben wollen. Er schreibt:
„G20 geht nicht mehr aus dem Kopf. Seit 1095 Tagen habe ich Kopfschmerzen. Im Juli 2017 war ich bei der Aktion des zivilen Ungehorsams “Block G20” in Hamburg dabei. Ich hatte mit meiner Bezugsgruppe das Ziel, den Ablauf des G20 Gipfels zu stören und dafür versuchten wir in die gesperrte “rote Zone” einzudringen. Dies dauerte mehrere Stunden und glich einem Katz-und-Maus-Spiel. Immer wieder wurde die Gruppe von schlagfreudigen Einheiten der Polizei gestoppt. Jedes Mal erwischte es ein paar Wenige, – Platzwunden an Köpfen waren die Folgen. Jedes Mal setzte die Gruppe ihren Weg fort in Richtung gesperrte Zone.
Doch kurz vor Erreichen des Ziels erwischte es auch mich. Nach dem dumpfen Schlag auf meinen Kopf vernahm ich ein kurzes lautes Piepsen und schon stand ich blutüberströmt da. Ich blieb bei Bewusstsein und mir
wurde schnell geholfen. Demo-Sanis, Rettungswagen, Notaufnahme. Die Verletzung tat zu Beginn nicht sehr weh und so ging ich am nächsten Tag sogar noch zur Großdemo „Grenzenlose Solidarität statt G20“. Nach ein paar Tagen stellten sich bei mir dauerhafte Kopfschmerzen ein. Als diese auch nach mehreren Wochen noch da waren, begann ich mir langsam Sorgen zu machen…“
Unser Mitstreiter beschreibt, was viele Menschen während der G20-Proteste erlebt haben. Vor, während und nach dem G20-Gipfel in Hamburg wurde viel über Polizeigewalt bei Demonstrationen und Blockadeaktionen gesprochen. Über die militärische Hochrüstung von Einsatzhundertschaften, über Beamte und Beamtinnen, die mit dem Schlagstock gezielt auf Köpfe schlugen und über SEK-Einsätze mit Maschinengewehren. Während der Proteste war es zu vielen Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstrierenden gekommen. Das hatte massive Verletzungen auf Seiten der Demonstrierenden zur Folge. Da wären die Paniksituationen auf der „WelcomeToHell“ Demo, die Auflösung eines Demozugs am Rondenbarg, bei dem Menschen mehrere Meter in die Tiefe fielen und mit offenen Brüchen liegen blieben, oder die zahlreichen Verletzten bei BlockG20. Die Polizei ließ es sich zudem nicht nehmen, die Verletzten in den Krankenhäusern einzuschüchtern und die
medizinische Versorgung zu behindern. Die Aufbereitung des Geschehens während und nach dem G20 Gipfel zeigte, dass die viel thematisierte Polizeigewalt nicht juristisch aufgearbeitet wurde, während nun Genoss*innen wie Schwerverbecher*innen behandelt werden.
Aber diese Begegnungen mit dem Schlagstock und der Polizei sind nicht nur für einen Moment schmerzhaft und ärgerlich. Nein! Sie prägen unsere ganze Person. Das ist nicht nur eine kurzfristige gewaltvolle Strategie der Polizei – der Einsatz hat auch langfristige Folgen und schließt letztendlich immer wieder Aktivist*innen effektiv aus Bewegungen aus. Sei es durch die Folgeschäden der Gewalt oder die psychische Belastung, die sich beispielsweise durch Traumafolge- und Angststörungen zeigen können.
Klar ist auch, dass wir einen aktiveren Umgang mit dieser rechtlich legitimierten Gewalt finden müssen. Wir müssen über unsere Aktionsformen nachdenken und einen solidarischen Umgang mit den Folgen von Verletzungen aufbauen. Damit verhindern wir hoffentlich auch den Ausschluss direkt Betroffener aus der Bewegung. Denn was bedeutet dieser Schmerz für das Leben und die politische Arbeit? Unser Genosse erzählt
weiter:
“Nach ein paar Tagen stellten sich bei mir dauerhafte Kopfschmerzen ein. Als diese auch nach mehreren Wochen noch da waren, begann ich mir langsam Sorgen zu machen… Es ist viel Zeit vergangen und seither war ich bei vielen Ärzt*innen und Therapeut*innen. Eine Behandlung, die mir die Schmerzen nimmt, wurde bis heute nicht gefunden. Die Krankenkasse wollte bald wissen, was in Hamburg passiert war und doch war mir klar, dass die Kasse nichts von der Aktion erfahren sollte. Bei der Behandlung der Folgeschäden wusste niemand genau, wie mit der Situation zu verfahren ist und ich war dem Gesundheitssystem ausgeliefert. Ich ging mit der Ursache meiner Verletzung in den Behandlungen meist offen um und erntete damit sehr unterschiedliche Reaktionen. Verständnis hatten dabei die Wenigsten. Seit 1095 Tagen habe ich Kopfschmerzen. Eine lange Zeit, die auch von Ohnmacht, Trauer und Wut geprägt war. Ohnmacht und Trauer verspüre ich, wenn die Schmerzen mich im Griff haben und ich merke, wie stark das meinen Alltag beeinflusst. Wut kommt hoch, wenn ich realisiere, dass ein Schlag auf den Kopf so erfolgreich sein kann. Der Schmerz zeigt mir tagtäglich was passiert, wenn ich mich nicht an die Spielregeln halte. Der Staat erzieht und diszipliniert uns gewalttätig. Ich spüre das konkret jeden Tag. „Wer nicht hören will, muss fühlen.“ „
Diese Erfahrung brachte uns als politische Gruppe dazu, körperliche Schmerzerfahrungen zu thematisieren, die doch zu oft im Privaten verschwinden. Als Bezugsgruppe, als politisches Umfeld wie auch als Freund*innen haben wir gelernt, die chronischen Schmerzen und die damit verbundene psychische Belastung unseres Genossen als Teil unserer politischen Praxis und Verantwortung zu verstehen. Wir wollen einen Gedankenanstoß geben, sich mit den physischen und psychischen Folgen von körperlicher Gewalt auf Aktionen auseinanderzusetzen. Wir wollen einen Austausch anregen, über die Strukturen, die wir als Linke für den Umgang mit den Auswirkungen dieser Gewalt geschaffen haben, und an welchen Stellen wir Lücken sehen.
Denn, das Risiko körperlicher Gewalt ist immanenter Bestandteil von zivilem Ungehorsam. Also! woran können wir uns orientieren??
Wir haben juristische Beratungen wie die Rote Hilfe und wir können nicht oft genug betonen: Auch wenn es einzelne trifft, – die Repression wird gemeinsam und solidarisch getragen!
Wir haben eine tolle Struktur mit “Out of Action” die den Umgang mit psychischen Verletzungen durch Aktionen und Repression aufarbeitet. Wir können das weiterentwickeln und damit körperliche Verletzungen oder gar längerfristige Folgen aus Aktionen thematisieren.
Wir haben Netzwerke wie den “Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte”, die “medinetz” Initiativen zur Unterstützung geflüchteter Menschen, und andere solidarische Strukturen aus verschiedenen Bereichen der Gesundheitsversorgung.
Ebenfalls haben wir Demosanis, die immer wieder eine klasse Erstversorgung leisten und die Ruhe in brenzligen Situationen bewahren.
Was wir noch brauchen wenn uns diese körperliche Gewalt trifft, ist eine Auseinandersetzung mit den alltäglichen Gesundheitsstrukturen: den Umgang mit der Krankenkasse, Ärzt*innen, der möglichen Berufsunfähigkeit, den Umgang mit dem Frust, der Trauer, der Wut und den Schmerzen die unser Freund beschrieben hat – wir brauchen Strukturen, die auffangen, unterstützen und die Situation bewältigen helfen.
Denn wenn Aktivist*innen bleibende Verletzungen auf Aktionen davontragen, muss unbedingt verhindert werden, dass das Problem zu einem privaten gemacht wird! Wenn wir auf Aktionen gehen, müssen wir auch darauf vorbereitet sein, dass wir uns längerfristig um Menschen kümmern können. Das bedeutet vor, während und nach einer Aktion: immer wieder nachfragen! Informationen austauschen! supporten! Raum schaffen, über
belastende Erfahrungen zu sprechen.
Und wenn es zu massiver Polizeigewalt wie bei G20 in Hamburg kommt, müssen wir die Verletzungen der Menschen thematisieren und die Polizeigewalt zum politischen Thema machen. Auch unser Protest kann
zahlreiche Formen der Solidarität mit sich tragen. Wir können den Schmerz dort sichtbar machen! Ein Beispiel dafür sind die Proteste in Chile, bei denen unzählige Menschen teilweise ihr Augenlicht verloren haben. Aus Solidarität verbanden sich die Protestierenden ein Auge und machten es zu einem Symbol der Polizeigewalt und Unterdrückung in Chile.
G20 geht nicht mehr aus dem Kopf. Auch die angeklagten Personen haben mit der starken Belastung zu kämpfen, die durch Justiz und Polizei ausgelöst werden. Das monatelange Erscheinen vor Gericht, die Ungewissheit um den Prozess, die Beeinträchtigung im Alltag in Ausbildung, Job und Familien- und Freund*innenkreisen – das ist eine harte emotionale und physische Belastung. Wir möchten euch hiermit unsere Solidarität aussprechen und viel Kraft für die kommende Zeit wünschen!
Wie viele von ihnen auch körperliche Schmerzen ertragen wissen wir nicht aber wir vermuten Schlimmes – so etwas geht an einem nicht spurlos vorbei. Damit appellieren wir an euch und an uns selbst – wir sollten auch körperlichen Schmerz als Teil der Repression anerkennen. So können wir uns aktiv unterstützen und nachhaltig körperliche Schmerzen behandeln. Danke! das ihr euch heute hier solidarisch zeigt. Danke! dass ihr die Belastungen sichtbar macht. Unsere Solidarität – gegen ihre Repression!
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Grußwort des Bundesvorstands der Roten Hilfe e.V.
Liebe Aktivist*innen,
Liebe Genoss*innen,
Fast dreieinhalb Jahre ist es her, dass wir gemeinsam gegen das G20-Spektakel auf der Straße waren. Mit vielfältigen Aktionen haben wir gezeigt, dass wir mit der herrschenden Weltordnung nicht einverstanden sind und uns den Protest und Widerstand dagegen nicht nehmen lassen. Allen Verboten zum Trotz gab es eine ganze Mengen an politischen Aktionen – und wir waren richtig Viele!
Es ist gelungen, eine ganze Reihe an unterschiedlichen linken Organisationen und sozialen Bewegungen zusammenzubringen im Protest gegen den G20-Gipfel.
Dass dieser Protest politisch erfolgreich war, können uns die Repressionsbehörden nicht vergeben.
Denn sie haben ja ihr bestes gegeben, um jeglichen Protest zu unterbinden. Nichts und niemand war vor ihnen sicher: Nicht Demonstrant*innen, nicht Journalist*innen, zum Teil noch nicht einmal unbeteiligte Tourist*innen. Durch die tollwütigen Reaktionen auf linke Proteste konnten die Repressionsorgane manche Aktion eindämmen. Aber ihr Ziel, linke Inhalte und antagonistische Kritik an den Verhältnissen von der Öffentlichkeit fernzuhalten, ist gescheitert.
Daran können auch die Horror-Berichte von Teilen der bürgerlichen Medien nichts ändern.
Der Staat hat sich mit seiner Eskalationsstrategie zum G20-Gipfel blamiert. Alle, die nicht davor die Augen verschließen, wissen das.
Die Beteuerungen eines Olaf Scholz, der bis heute behauptet, es habe keine Polizeigewalt gegeben, sind nur noch peinlich.
In diesem Zusammenhang ist das nun beginnende Rondenbarg-Verfahren zu betrachten.
Hier hat es einen dokumentierten brutalen Polizei-Überfall auf Demonstrant*innen mit schweren Verletzungen gegeben. Leugnen zwecklos, denken sich die Behörden, also scheint nur die Flucht nach vorn zu helfen. Deswegen sollen die Aktivist*innen hart bestraft werden und während des Prozesses stark eingeschränkt werden.
Eine weitere altbekannte Taktik bei politisch motivierten Schauprozessen ist der Versuch, eine abschreckende Wirkung zu erzielen, damit wir bei den nächsten Protesten Zuhause bleiben. Werden wir aber nicht. Und wir verteidigen und unterstützen die Angeklagten in diesem Prozess und allen weiteren, die noch folgen werden. So gemeinschaftlich wir gemeinsam auf die Straßen gegangen wird, so gemeinschaftlich muss auch der Widerstand gegen die Repression sein.
Deswegen:
Besucht die Prozesse, die Kundgebungen und Proteste!
Spendet für die Prozess- und Reisekosten!
Werdet vor Ort aktiv und schafft Gegenöffentlichkeit!
Nieder mit den Anklagen im Rondenbarg-Prozess!
Freiheit für alle politischen Gefangenen weltweit! Schafft Rote Hilfe!
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Grußwort der in Zürich Angeklagten
„Liebe Genossinnen, Liebe Genossen,
am 3. Dezember beginnen nicht nur in Deutschland die Prozesse rund um den sogenannten Rondenbarg-Komplex, sondern auch wir in Zürich hätten an diesem Tag vor Gericht stehen müssen – Coronabedingt ist das nun auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
Wenn wir einen Blick zurück in den „heißen Sommer“ 2017 werfen, erinnern wir uns daran, wie viele wir waren: Tausende Menschen fanden den Weg nach Hamburg mit dem Ziel, das Gipfeltreffen der G20 möglichst zu verhindern. Wir waren viele, wir waren international, wir kamen aus den verschiedensten linken Strömungen, aus den Quartieren, wir waren sicht-, hör- und spürbar, aber vor allem waren und sind wir wütend. Denn das kapitalistische System und ihre VertreterInnen fordert jeden Tag unzählige Menschenleben und zerstört unseren Planeten. Gegen dieses ausbeuterische und mordende System gehen wir auf die Straße, nicht nur an Großveranstaltungen wie es der G20 ist.
Beim Blick zurück erinnern wir uns aber auch gerne an die offensiven Momente dieser Tage. Besonders am Freitagabend im Schanzenviertel wurde klar sichtbar, was für eine Stärke wir entwickeln können und wie wackelig es unter den Füßen der Mächtigen wird. In Anbetracht dessen ist es nicht verwunderlich, dass der deutsche Staat mit aller Härte versucht, die Proteste zu delegitimieren und uns versucht zu spalten, in „gewaltbereite“ und „friedliche“ Linke. Uns ist bewusst: Wenn wir die angebliche Allmacht der Herrschenden angreifen und darin den Blick auf revolutionäre Perspektiven freilegen, gefällt dies diesem Staat nicht. Er wird seine Mittel einsetzen, um uns zu schwächen.
Als RevolutionärInnen müssen wir auf die Gegenangriffe der Mächtigen vorbereitet sein und einen politischen Umgang damit haben. Denn wir wissen auch, dass Repression subjektiv als Niederlage erlebt werden kann, sie kann unmittelbar und plötzlich treffen. Genau darum ist es wichtig, dass wir, drei Jahre nach diesem historischen Ereignis in der Hamburger Innenstadt, uns in Erinnerung und ins Bewusstsein rufen, weshalb die Repression so zuschlägt. Wir werden ihr stark und kollektiv entgegentreten, mit demselben Mut wie damals in Hamburg und letztlich den Spieß umdrehen.
Solange es diese Klassengesellschaft gibt, hört der revolutionäre Kampf der unterdrückten und ausgebeuteten Menschen niemals auf!
Solidarische und kämpferische Grüße,
Die drei Angeklagten aus Zürich“
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Redebeitrag der Antirepressionsgruppe ΦΥΤΙΛΙ (fytili)
Liebe Genoss*innen,
Wir wollen den Anlass dieser Kundgebung benutzen, um über Repression durch Polizeigewalt in Griechenland zu sprechen und uns dabei vor euch als neue Gruppe vorzustellen. Was hat das mit G20 zu tun? Gleichzeitig wenig und viel. Diese laut Presse brutale und außer Kontrolle geratene Demonstration hat eine extreme Reaktion des Staates verursacht.
Polizeigewalt, grundlose Verhaftungen, lange Untersuchungshaften, extrem lange und unregelmäßig durchgeführte Gerichtsprozesse, die entweder noch laufen oder mit exemplarischen Strafen endeten. Und wie wir auch in BaWü durch Anfragen gewisser Parteien an die Universitäten für Listen möglicher an Protesten Beteiligten oder Aufrufenden gesehen haben, wird jeder, der protestieren will, stigmatisiert.
In Griechenland ist all das und noch mehr Alltag. Und es war immer so. Die Unprofessionalität, die Willkür und der Missbrauch von Macht sind die Norm. Auch wenn es Ausnahmen gibt, die auf der Straße eingesetzten Polizist*innen glauben, sie können alles machen, was sie wollen, und vor allem ohne Konsequenzen. Das, in Zusammenhang mit der zunehmenden rechten Radikalisierung und Militarisierung der Polizei, führt zu Situationen wie: Brutale und offene Diskriminierung gegen jede/jeden, der/die nicht in das Bild des kleinbürgerlichen Haushalts passt.
Abgrenzung und Dämonisierung der linken und anarchistischen Gruppen und ihrer historisch symbolischen Versammlungsorten wie Exarcheia. Abwertende Behandlung bei Körperkontrollen. Und bei Demonstrationen? Da wird es erst gruselig. Undiskriminierte Prügeleien, gefälschte Klagen und konstruierte und auf die Festgenommenen gepflanzte Tatbeweise, furchtbare Haftverhältnisse. Zu viele Leute landen nach einer Demonstration ins Krankenhaus wegen Polizeigewalt. Und in Coronazeiten, wo die Maßnahmen für die Polizei offensichtlich nicht gelten, sind sie auch wortwörtlich eine Gesundheitsgefahr auf der Straße.
Diese abyssale Korruption hat sich mit der neuen Regierung im letzten Jahr verschärft und wird sogar noch gefördert. Durch ihre absolute Mehrheit im Parlament fühlt sich die regierende Partei gerade so unantastbar, dass jeder demokratische Vorschein aus dem Fenster fliegt.
Durch Unterstützungspakete an die größeren und freundlichen Mediensender kontrollieren sie auch die Presse, so dass sie keine Kritik oder Verantwortung aufnehmen müssen. Dadurch verbreiten sie populistische Propaganda (Entschuldigung, ich meinte natürlich legitime Kommunikationspolitik) um die Unterstützung ihrer Wähler zu erhalten. Das Narrativ sei ein toller Verwaltungsplan, wobei jeder Fehlschlag die Schuld des Volkes oder der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition sei. Als die Coronakrise kam, wurde ein schon auseinander gefallenes Gesundheitssystem noch mehr ausgeschöpft, und anstatt sinnvolle Maßnahmen zu beschließen, hat die Regierung stattdessen tausende von Polizist*innen angestellt und eine Repressionsorgie angefangen. Mit dem Coronavirus als Vorwand verabschieden sie im Parlament immer mehr erbärmliche und verfassungswidrige Gesetze, wie die Wiederkehr des 10-Stunden-Arbeitstages und die erstickende Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Man hat mittlerweile Angst vor der allgegenwärtigen Präsenz der eliten Polizeitruppen auf den Straßen.
Kulminiert hat die Repressionsorgie vorletzte Woche, indem die Regierung ein vollkommenes Versammlungsverbot im ganzen Land ansagte und zwar genau um die Tage des Festes für das Ende der Diktatur, welches immer mit Demonstrationen verbunden ist. Übrigens, das letzte Mal, das soetwas passierte, war in Zeiten der Diktatur. Jeder Versuch zur Demonstration wurde in einem Kriegsklima von 5000 Polizist*innen gewalttätig aufgelöst. Wohl bemerkt haben die Demonstrant*innen im Gegensatz zu sämtlichen Polizist*innen alle hygienischen Maßnahmen eingehalten, bevor sie über 2 Kilometer verjagt, verprügelt und mit Tränengas angesprüht wurden, teilweise auch in privaten Haushalten. Und der zuständige Minister für zivile Ordnung und Bürgerschutz hatte nur folgendes zu sagen: „Es gab keine Polizeigewalt, die Polizei hat sich sogar zurückgehalten trotz des Gesetzesbruchs und wir haben es geschafft die Feierlichkeiten friedlich und gewaltlos zu halten.“
In diesem Klima wollen wir eure Aufmerksamkeit und Solidarität auch nach Griechenland richten lassen und euch ein Beispiel geben, wie sich hier die Situation auch in den nächsten Jahren entwickeln könnte. Ganz Europa wird vom Populismus und dem Rechtsextremismus langsam umarmt und erstickt. Es ist trotzdem nicht zu spät aus den extremen Beispielen wie Griechenland, Frankreich, Polen, Ungarn, u.a. zu lernen und eine ähnliche Situation in Deutschland zu vermeiden. Mit diesem Gedanken haben wir das Bedürfnis für eine größere internationale Kooperation erkannt. Wir, als neugegründete Gruppe „Φυτίλι“ (auf Deutsch Docht), werden uns auf Aktionen und Informationsaustausch insbesondere zwischen den Bewegungen in Griechenland und Deutschland konzentrieren. Wir drücken offen unsere konstante und vollkommene Entgegensetzung gegen jegliche Repression und unsere Solidarität an alle Verfolgten des G20, sowie an alle gehafteten Genoss*innen in Griechenland aus und wollen jede/jeden von euch, sowohl Gruppen als auch Individuen, die für diesen Zweck interessiert sind, herzlich einladen.