WeFightEveryCrisis: Rede bei FridaysForFuture am 22. Mai 2020

Im Folgenden der Redebeitrag, den wir auf der Kundgebung von FridaysForFuture Heidelberg am 22. Mai 2020 auf dem Uniplatz Heidelberg gehalten haben:

Liebe Klimagerechtigkeitsaktivist*innen,
wir begrüßen euch.
Uns gefällt das Substantiv „Klimagerechtigkeit“ eigentlich ganz gut, weil es sofort auf etwas hindeutet, das wir alle hier letztendlich haben wollen: eine solidarische Gesellschaft, in der zu leben es sich unter anderem deshalb lohnt, weil sich auch um die gesellschaftlich Schwachen, Prekarisierten, Ausgebeuteten, Stigmatisierten, Vertriebenen, Alleingelassenen, vom Klimawandel am brutalsten Betroffenen gekümmert wird. Wo eben nicht ausschließlich das Recht des Stärkeren, des Rücksichtlosen, des Verblendeten, des Ignoranten gilt.
Zunächst:
Pandemien erzeugen Krisen unterschiedlichen Ausmaßes, im schlimmsten Falle weltweit. Die Corona-Pandemie ist eine globale; und davon betroffen sind tatsächlich fast alle Nationalstaaten dieser Erde – ebenfalls unterschiedlich stark.
Als Reaktion darauf gibt es Krisenbewältigungsstrategien; es gibt staatliche, zivilgesellschaftliche und staatlich-zivilgesellschaftliche – dabei wiederum können die Länder untereinander über bilaterale oder multilaterale Abkommen von „besonders eng“ bis „gar nicht“ zusammenarbeiten.
Und hier fängt jetzt das Problem an, und wir müssen ein Land in den Fokus nehmen, weil es sonst ausufert: Wir nehmen also die BRD. Dieser Staat hat als „materielle Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse“ in einer bestimmten Weise auf die Corona-Pandemie reagiert. Wie, haben wir alle in den letzten Monaten mitbekommen; und wir werden in Zukunft noch mitbekommen, wie er mit dieser offensichtlichen Krise umgeht. Hier muss jetzt also nicht geklärt werden, ob die Krisenbewältigungsstrategie darin bestand oder besteht, einen „Klassenkampf von oben“ vom Zaun zu brechen oder am Ende, das noch nicht in Sicht ist, doch wieder alles auf die so genannten Steuerzahler*innen abzuwälzen. Es reicht eigentlich, darauf hinzuweisen, dass ein kapitalistisches Herrschaftssystem, und das ist die BRD nun einmal, sich selbstkonstituierend immer im „Krisenmodus“ befindet, weil dieser zu den objektiven Grundbestandteilen der warenproduzierenden/wertschöpfenden Verdichtung regulativer Machtkomponenten gehört.
Uns interessiert hier und heute, wie bestimmte politische, soziale Milieus, Gruppen, Parteien, Einzelpersonen auf die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie reagieren und was Verschwörungsideologien damit zu tun haben.
Auch das konnten wir in den letzten Monaten sehen: Relativ früh – also bereits Anfang/Mitte April – thematisierten Gruppen und Parteien rechts von der CDU die Grundrechts-Einschränkungen, die mit diesen staatlichen Maßnahmen einhergehen. Schon da war klar, dass sich dieses in jeder Hinsicht heterogene rechte Milieu zunächst einmal nur auf so etwas einigen musste wie: „Die nehmen mir meine Freiheit!“ Und warum nehmen sie dir deine Freiheit? „GRUNDLOS!“
Es geht also zunächst um das Eröffnen eines Diskursfeldes; das ist in diesem Falle inhaltlich das inszenierte, raumgreifende Debattieren über einen Staat, der den Bürger*innen angeblich grundlos ihre Freiheit nimmt. Denn, so die Argumentation dieser Corona-Leugner*innen: Dieses Virus, von dem plötzlich alle sprechen, das gibt es gar nicht; oder: es ist absolut ungefährlich, harmlos; oder: davon verrecken sowieso nur diejenigen, die sowieso verreckt wären usw. Was hat das mit mir zu tun? Ich bin jung, gesund, stark, „deutsch“ usw.
Und wenn das funktioniert, und das hat funktioniert, kann das Politikfeld, zu dem es werden soll oder geworden ist, besetzt werden: Mit Verschwörungsideologien. Damit werden für gewaltige globale Problemstellungen, die in ihrer Unüberschaubarkeit und Komplexität beängstigend wirken, einfachste Denkschablonen geschaffen, die klare oder „undeutliche“, „verschwommene“ Schuldige benennen. Und wie so oft in der Geschichte wird dabei auf antisemitische Stereotype zurückgegriffen, die schon im Mittelalter als Erklärungsmuster für die Pest herhalten mussten: von den kinderbluttrinkenden Eliten, von denen QAnon schwadroniert, bis zu Rothschild und Soros, deren Namen am vorigen Samstag auf dem Parkplatz am Messplatz in Kirchheim auf Schildern zu lesen waren.
Warum wird das eröffnete Politikfeld, auf das möglichst viele wütende Menschen gezogen werden sollen, mit Verschwörungsideologien okkupiert? Weil die Organisator*innen und politischen Nutznießer*innen der größer und größer werdenden „Grundrechts-Demos“ oder „Hygiene-Demos“ das mobilisierbare Potenzial nur dadurch steigern können, indem sie den davon Angezogenen eine Erklärung liefern. Denn ohne ein begründetes Anliegen, ohne das Engagement für eine Veränderung der Bedingungen, unter denen die Leute leben müssen, muss nicht zusammen mit anderen auf die Straße gegangen werden.
Und diese Erklärungsvermittlung klappt eben auch nicht immer so gut. Hier hat es aber geklappt.
Emanzipatorische Ansätze – also das Eröffnen der Möglichkeit, eine befreite Gesellschaft zu erwirken -, sollten von Anfang an keine Rolle spielen bei diesen Sammelbewegungen, also wurde das in heftigen Krisen „bewährte“ Phänomen aktiviert, einen rechten Verblendungszusammenhang herzustellen, der mit Verschwörungselementen gezimmert wird.
Ideologie ist es, weil in den angesprochenen gesellschaftlichen Gruppen ein falsches Bewusstsein erzeugt werden soll; im Groben besteht es darin, das objektiv Mögliche nicht mehr sehen zu wollen oder sehen zu können und sich – symbolisch oder ganz konkret – autoritär formierter Herrschaft unterzuordnen: Um „Grundrechte“ sollte es niemals gehen, das ist viel zu universalistisch. Grundrechte gelten ja für alle.
Und Verschwörungen sind jene Elemente, die an diese Verblendung dran gehängt werden, um sie „schmackhafter“ aufbereiten zu können:
Rechte Erklärungsmuster kommen oder: die rechte Welt kommt niemals ohne Bedrohung aus. Es gibt immer etwas, das sich im Geheimen oder ganz offen gegen sie – ihre Welt – verschwört. Ein bedrohliches Gefühl der Fremdbestimmung soll in der als „deutsch“ definierten Bevölkerung Zustimmung finden.
Verschwörungen sind immer mystifizierende Aushebelungen materialistischer oder wissenschaftlicher Deutungen der Welt, die Wirkmächtigkeit besitzen oder entwickeln können/sollen.
Ihre Gefährlichkeit besteht darin, dass sie in ihrer Flexibilität, Funktionalität, Emotionalisierung, Homogenisierung auf komplexe Problemstellungen aufgepropft werden können.
Sie sind immer eine verkürzende, reduzierende, aber vehemente Klärung irgendeiner Schuldfrage, die an irgendeinem gesellschaftlich bedeutenden Punkt aufgeworfen wird, z.B.: „Wer hat das Virus in die Welt gebracht und warum?“ Antisemiten beantworten dieser Frage mit: „Das Virus ist ein Patent aus den USA, die in Israels Auftrag die Welt versklaven.“
Das Muster ist immer das gleiche, es wird nur auf graduell unterschiedlichem Niveau „geblendet“.
„Schuld“ sind immer die anderen! Meistens dunkle Mächte, oft gleich die „Neue Weltordnung“, Menschen, denen ein Jüdischsein zugeschrieben wird, so genannte Fremde…
Garniert wird das Ganze mit rassistischen, antisemitischen, misogynen Bildern von zentral gesteuerten Programmen, mit denen „die Deutschen“ vergiftet, umgevolkt oder ausgerottet werden sollen; flankiert von einer angeblichen Diktatur, die ihnen die Freiheit nimmt, sie unterdrückt.
Und genau solche Leute treffen sich seit Wochen auf diversen Plätzen in Heidelberg. In der bunten Mischung finden sich rechte Esoteriker*innen, Reichsbürger*innen und Flacherdler*innen ebenso wie seit Jahrzehnten bekannte Nazifunktionär*innen. Alle, die sich dazustellen und die teilweise aus dem militant-neonazistischen Milieu stammenden Reden beklatschen, fördern die weitere Akzeptanz von Antisemitismus, Rassismus und Sozialdarwinismus, die verschwörungsideologisch aufgeladen sind.

Solidarität statt Ausgrenzung!
Für Klimagerechtigkeit!
Gegen Verschwörungsideologien!
Gegen Fake-News!
Gegen Wissenschaftsleugnung!
Gegen Antisemitismus!

Dieser Beitrag wurde unter General abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.