Rede der AIHD/iL beim Frauen*kampftag 2020

Bei der gut besuchten und kämpferischen Kundgebung am 8. März 2020 auf dem Heidelberger Bismarckplatz gab es außer einem feministischen Flashmob nach chilenischem Vorbild, der von der Sambagruppe Rhythms of Resistance begleitet wurde, mehrere Redebeiträge. Danach ging es mit einer lautstarken Spontandemo durch die Hauptstraße, um die feministischen Forderungen in die Altstadt zu tragen. Die Rede der AIHD/iL dokumentieren wir im Folgenden:

Liebe Genoss*innen, liebe Freund*innen,

wenn wir am heutigen Frauen*kampftag hier zusammengekommen sind, um gemeinsam gegen Gewalt gegen Frauen* zu protestieren, dann meinen wir damit unterschiedlichste Formen von Gewalt.
Wir meinen damit sexualisierte Gewalt gegen Frauen*, häusliche Gewalt bis hin zu Morden durch Ehemänner und Partner. Gewalt gegen Frauen* im weiteren Sinn ist aber auch, wie damit umgegangen wird: dass diese Morde in der Presse und der allgemeinen Öffentlichkeit verharmlosend als „Familiendramen“ bezeichnet werden, als ob wir es mit einem Bühnenstück zu tun hätten. Auffallend ist dabei, dass Femizide im familiären Kontext nur dann als „Familiendrama“ heruntergespielt werden, wenn die Täter Biodeutsche sind; handelt es sich um migrantische Täter, ist plötzlich von „Ehrenmorden“ die Rede, und die patriarchalen Morde an Frauen werden benutzt, um rassistische Stereotype wiederzukäuen.
Und hier tut sich eine neue Dimension von Gewalt gegen Frauen* auf: die systematische Instrumentalisierung durch rechte und rassistische Bewegungen und Parteien, die sich nur dann punktuell für Frauen*rechte interessieren, wenn sie sie vorschieben können, um gegen Geflüchtete und Migrant*innen zu hetzen. Bundesweit zu sehen war dies nach den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht, bei denen diejenigen Parteien und Akteure, die diese Taten in ihrem Umfeld als so genannte Kavaliersdelikte betrachten, sich plötzlich zu Verteidigern der sexuellen Selbstbestimmung aufschwangen. Hier in der Region war es in Kandel zu beobachten, nachdem Ende 2017 die 15-jährige Mia durch ihren Ex-Freund ermordet worden war. Den migrantischen Hintergrund des Täters nutzte ein Bündnis von Stiefelnazis über Identitäre bis hin zur AfD über Jahre hinweg, um gegen Geflüchtete zu hetzen. Dabei interessierten sie sich weder für Mia noch für die Bedürfnisse ihrer Familie, und betrieben gleichzeitig ihre antifeministische Propaganda weiter.
Dagegen setzen wir uns zur Wehr: gegen die patriarchalen Morde ebenso wie gegen die Verharmlosung in den Medien, aber auch die Instrumentalisierung dieser Morde für eine rassistische Agenda. Gewalt gegen Frauen* ist Gewalt gegen Frauen*, Mord ist Mord, und sexuelle Übergriffe sind sexuelle Übergriffe, völlig unabhängig davon, wo die Täter geboren sind. Gewaltförmiger Sexismus und patriarchale Gewalt sind kein Import, sondern ein seit Jahrtausenden in die hiesige Gesellschaft eingeschriebenes Grundprinzip, dem wir auf allen Ebenen entgegentreten. Unser Feminismus bleibt antirassistisch!
An dieser Stelle wollen wir aber auch auf ganz andere Formen von Gewalt gegen Frauen* hinweisen, die heute weniger im Fokus stehen:
Dazu zählen auch geschlechtsspezifische Ausprägungen des ohnehin gewaltförmigen Kapitalismus und der Profitmaximierung, die zulasten der körperlichen und psychischen Unversehrtheit von Frauen* geht. Gewalt gegen Frauen* sind Arbeits- und Ausbeutungsbedingungen, die systematisch krankmachen, die ein erhöhtes Unfall- oder Todesrisiko beinhalten, die gezielt ein Leben in Armut herbeiführen. Das fängt bei der Tatsache an, dass auch hierzulande Altersarmut weiblich ist, und endet bei unübersehbar mörderischen Ereignissen wie den bewusst in Kauf genommenen Brandfällen in asiatischen Textilfabriken.

Der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen* darf sich nicht darauf beschränken, die extremsten Ausprägungen des patriarchalen Normalbetriebs zu kritisieren oder zu skandalisieren. Wenn wir der Gewalt gegen Frauen* den Kampf ansagen, dann sagen wir damit dem Patriarchat ebenso wie dem Kapitalismus den Kampf an.

Das erreichen wir nur, wenn wir als Frauen* uns nicht spalten lassen, wenn wir alle Einzelkämpfe zusammenführen und gemeinsam gegen Sexismus in allen seinen Spielarten und gegen Ausbeutung in all ihren Varianten angehen. Wir bewegen uns in unterschiedlichen Zusammenhängen, wir kommen aus unterschiedlichen Kontexten und Ländern, aber am heutigen Tag gehen weltweit Frauen* auf die Straße, um für ihre Rechte einzutreten. Über alle Unterschiede hinweg müssen wir die Gemeinsamkeit unserer Forderungen erkennen, aber auch die verschiedenen Bedingungen, unter denen unsere Kämpfe stattfinden, respektieren.

Wenn wir vorankommen wollen, dann nur gemeinsam. Deshalb ist und bleibt unser Feminismus antikapitalistisch, internationalistisch, antirassistisch und unbedingt solidarisch!

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