Was machen die Kraichgauer Nazis? Aufmärsche, Rechtsrock, Schlägereien

Sinsheim war jahrelang ein Reizwort für Antifaschist*innen, konnte sich doch dort bzw. in der näheren Umgebung seit einem guten Jahrzehnt eine relativ stabile Nazi-Szene etablieren. Die Faschist*innen in der Region konnten dort nahezu ungestört Veranstaltungen wie Stammtische, „Liederabende“ oder Feiern durchführen. Nicht ungestört verliefen dagegen alle Versuche der Nazis, an die Öffentlichkeit zu treten. Jede angekündigte Demonstration oder Kundgebung wurde von Protesten begleitet, auch wenn es lokale Antifaschist*innen immer schwer hatten und haben. So wurden sie mehrfach Ziel von Bedrohungen, manchmal sogar von körperlichen Angriffen durch Nazis. Und auch das politische Klima in Sinsheim – hier vor allem Gemeinderat und Stadtverwaltung – machte es den örtlichen Nazi-Gegner*innen nicht gerade leicht, den Faschisten etwas entgegenzusetzen.

Bruch der Kontinuitäten
Eine Zäsur fand 2016 statt. Die bislang eifrig mit der NPD kooperierenden „Freien Nationalisten Kraichgau“ lösten sich auf; zahlreiche Aktivisten wandten sich der Partei „Die Rechte“ zu. Das führte, auch wenn einzelne Kooperationen mit der NPD darüber hinwegtäuschen sollten, zu einem Bruch der Kontinuitäten. Die Mobilisierungfähigkeit der Faschisten hält sich seither stark in Grenzen und auch die Zahl der Aktivist*innen hat sichtlich abgenommen. Das darf jedoch nicht drüber hinwegtäuschen, dass die Faschisten immer noch da sind. Einzelne Kraichgauer Nazis treiben sich bundesweit auf Rechtsrock-Events, Fußballspielen oder Aufmärschen herum, auch wenn sie vor Ort sichtbar nichts gebacken bekommen. Ein Blick auf die vergangenen eineinhalb Jahre soll das veranschaulichen.
Nicht einmal 20 Nazis bringt eine Kooperation von „Die Rechte“ und NPD am 8. April 2017 in Sinsheim auf die Straße, und das trotz angereister „Polit-Prominenz“ in Person des Nazis Christian Worch. Die Faschist*innen wollen in der Kraichgau-Stadt Werbung für den „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ) am 3. Juni in Karlsruhe machen. Die organisierenden Nazis Patrick Hillenbrand, Johannes Bachmann, Reinhard Schätz und Timo Feldpausch – allesamt bis Mai 2016 bei den „Freien Nationalisten Kraichgau“ – sind nun für „Die Rechte“ aktiv.

Am 6. Mai 2017 führen NPD und „Die Rechte“ in Sinsheim mit rund 50 Teilnehmer*innen eine Demonstration „gegen Kinderschänder“ durch. Zum achten Mal versammeln sich in der Großen Kreisstadt Faschist*innen aus diesem Anlass. Federführend bei der Aktion sind erneut die Kraichgauer Nazis um Patrick Hillenbrand und Johannes Bachmann.
Mit einem Infostand wirbt „Die Rechte“ am 27. Mai 2017 in Sinsheim für den TddZ. Bachmann, Hillenbrand und andere verteilen in der Innenstadt Flugblätter an Passant*innen.
Beim „Tag der deutschen Zukunft“ am 3. Juni 2017 in Karlsruhe-Durlach, an dem rund 300 Nazis teilnehmen, sind mehrere Faschisten aus dem Kraichgau dabei. Neben Johannes Bachmann, der offenbar koordinierende Funktionen innehat, sind dies Reinhard Schätz, Timo Feldpausch, Patrick Hillenbrand und Thilo Halbauer. Weiterhin nimmt auch der Kraichgauer Nazi Bjarne Winkelmann teil.

Keine Öffentlichkeitswirksamkeit
Nach dem Misserfolg von Durlach – die Nazis hatten mit rund 1000 Teilnehmer*innen gerechnet – wird es ruhig um die Kraichgauer Faschisten. Hinzu kommen unterirdische Ergebnisse bei Wahlantritten. So erzielt die Partei „Die Rechte“ bei den Zweitstimmen zur Bundestagswahl 2017 in Baden-Württemberg 0,0 Prozent (2054 Stimmen). Dazu kommen einige erfolglose Kandidaturen bei Bürgermeisterwahlen in Au am Rhein und Sinzheim (beide im Landkreis Rastatt) sowie in Sulzfeld, Ubstadt-Weiher und Weingarten (alle im Landkreis Karlsruhe).
Über die übliche Kranzabwurfaktion zum „Heldengedenken“ am so genannten Volkstrauertag in Rauenberg-Malschenberg am 19. November 2017 kommen die Nazis nicht mehr hinaus. Es bleibt bei halbherzigen Aktivitäten in Sozialen Netzwerken und der sporadischen Teilnahme an Aufmärschen im Bundesgebiet.
2018 gelingt es den Kraichgauer Faschisten noch nicht einmal, ihre alljährliche Aktion „gegen Kinderschänder“ in Sinsheim durchzuführen. Diese hatte seit 2010 immer im März, April oder Mai stattgefunden. Damit sind seit der Umfirmierung von „FN Kraichgau“ in „Die Rechte Rhein-Neckar“ die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der Nazis auf Null geschrumpft.

Neue Rechtsrock-Band
Von sich Reden macht zwischenzeitlich allerdings die Kraichgauer Rechtsrock-Band „Germanium“, die 2016 zum ersten Mal in Erscheinung trat. Auch auf dem Sampler zum TddZ, der im ersten Quartal 2017 erscheint, ist die Band vertreten. Die Combo gruppiert sich um Benjamin Knüll (Gesang) und André Müller (Schlagzeug). Beide waren bereits 2010 der Gruppierung „Anti-Antifa Rhein-Neckar“ zuzurechnen. Aus dieser Kraichgauer Nazi-Gruppe entstanden 2010 unter anderem die „Freien Nationalisten Kraichgau“.
Seit Gründung zeigt sich die Band als sehr umtriebig und spielfreudig. Einige ausgewählte Auftritte:
„Germanium“ tritt am 1. April 2017 bei „Stimmen der Bewegung“ zusammen mit „Breakdown“, „Carpe Diem“ und „Flak“ auf. Die Veranstaltung im französischen Combres-sous-le-Cotes dient der Mobilisierung für den „Tag der deutschen Zukunft“ in Karlsruhe-Durlach (3. Juni 2017).
Am 27. Oktober 2017 spielt „Germanium“ beim „Rock gegen Links“ in Themar auf.
„Germanium“, „Kommando Skin“, „White Resistance“ und „Kodex Frei“ spielen am 24. Februar 2018 vor rund 120 Nazis in Mühlacker bei Pforzheim.
Auch beim „Schild und Schwert“-Festival am 20. April 2018 im sächsischen Ostritz ist die Kraichgauer Rechtsrock-Band „Germanium“ mit dabei.
Im sächsischen Mücka treten am 2. Juni 2018 vor rund 90 Nazis neben „Germanium“ die Bands „Baltic Storm, „Ungebetene Gäste“ und „Sturmbrüder“ auf.

Kraichgauer Nazis schlagen zu
Erst im September 2018 geraten Faschisten aus dem Kraichgau wieder in das öffentliche Interesse. Sieben betrunkene Nazis aus Sinsheim, Angelbachtal, Mühlhausen und Graben-Neudorf greifen am Abend des 8. September 2018 in Wiesloch Besucher*innen eines Eiscafés an. Vor dem rassistischen Angriff grölen sie rechte Parolen wie „Hier marschiert der nationale Widerstand“ und „Deutschland den Deutschen“. Experten können drei altbekannte Faschisten der „Freien Nationalisten Kraichgau“ identifizieren, die heute zum Teil für „Die Rechte“ aktiv sind.

Polizei schweigt sich zum rechten Hintergrund aus
Die Polizei hält sich aktuell mit Angaben zu den beteiligten Personen zurück. Die Personalien der Nazis waren am 8. September festgestellt worden. Eigenartig, sollte doch der eine oder andere der beteiligten Nazis in der Polizei-Datei REMO („rechtsorientierter politisch motivierter Straftäter“) zu finden sein.

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