Rede in Michelstadt

MichelstadtHier nachzulesen unser Rede auf der Demonstration in Michelstadt. Kurzbericht und Fotos gibt es bei Linksunten

Liebe Genoss_innen,

in bürgerlicher Denkweise, die Politik anhand von Parteien und Wahlergebnissen ausmacht, sollten die vergangenen Kommunalwahlen in Hessen ein deutlicher Indikator für das gesellschafltiche Klima in Deutschland gewesen sein.

Rechtsaußen-Parteien haben flächendeckend hervorrangende Ergebnisse eingefahren:
Die AfD lag fast überall, wo sie angetreten ist, bei rund 10 %. Andernorts haben NPD oder Republikaner dann den Großteil der Wählerstimmen aufgefangen. Die Freie Liste Biblis wurde mit fast einem Drittel der Stimmen sogar stärkste Partei im Kreis.
In den Medien hieß es, das Ergebnis sorge für Aufsehen, es sei sogar ein Paukenschlag für die AfD.

Natürlich ist es dies auch, und natürlich sollte das Warnsignal erkannt werden. Bei den morgigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird es ähnlich aussehen, und auch hier wird die Rezeption die gleiche sein, und auch hier ist sie prinzipiell richtig, und auch wir und andere Antifa-Gruppen werden mit diesen Ergebnissen politisch arbeiten (müssen).

Jedoch ist es keineswegs überraschend. Wir können es ja schon selber nicht mehr hören, aber seit bald 15 Jahren warnen Studien, wie die von Heitmeyer und die „Mitte-Studien“, vor der quer durch alle Gesellschaftsschichten verbreiteten, tief sitzenden Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, also Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Sozialchauvinismus und diversem anderen.
Aber das Mantra war und blieb: Rassisten sind immer die anderen.

Dabei war es die CDU, die besonders hier in Hessen mit rassistischen Wahlkämpfen angetreten ist, und die SPD, die für Thilo Sarrazin bis heute die politische Heimat darstellt.
In Ortschaften waren immer diejenigen die Nestbeschmutzer_innen, die auf Rassismus und Naziprobleme hingewiesen haben.
Niemand wollte etwas davon hören, und wenn doch, dann wurde schnell erkannt, dass die ja alle von außerhalb kommen oder bedauerliche Einzelfälle seien.

Heute ist das anders, aber nicht besser. Insbesondere Politische Parteien kalkulieren eher mit ihrem menschenverachtenden Potenzial.
Die Grünen in Baden-Württemberg haben mit Boris Palmer und Winfried Kretschmann schon die Posten des Tübinger Oberbürgermeisters und des Ministerpräsidenten des Landes mit zwei Rechtspopulisten besetzt, die CSU liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Menschenverachtung mit Pegida-Positionen, die SPD biedert sich an Naziparolen an mit der Behauptung, durch sie gäbe es mehr sichere Herkunftsländer.
Quer durch alle Parteien hinweg diktiert momentan Rassismus die Politik.

Dabei geht es vorerst nur darum, den Menschen Schutz zu geben, deren Leben in jenen Ländern nicht mehr sicher ist, die durch deutsche beziehungsweise europäische Kriegspolitik in den Bürger_innenkrieg getrieben wurden, oder die durch den von Deutschland massiv durchgesetzten globalen Kapitalismus wegen Hunger und Krankheiten zu menschenfeindlichen Orten geworden sind.

Hinter der Feindseligkeit gegenüber Schutzsuchenden steht der gleiche Rassismus, vor dem schon seit Jahren gewarnt wird.
Die Unerreichbarkeit gesellschaftlich vorgegebener Ziele, gepaart mit der ständigen Bedrohung des sozialen Abstiegs bei gleichzeitiger Individualisierung struktureller Gegebenheiten, ist genau jene explosive Mischung, die dafür sorgt, dass Rassismus immer fester Bestandteil einer kapitalistischen Gesellschaft sein wird.
Eine explosive Mischung, die sich besonders in Krisenzeiten entlädt und dann hochgehen kann.
Das Ergebnis ist eine der stärksten Terrorwellen, die Deutschland bisher erlebt hat: Fast täglich brennen Häuser, werden Menschen auf offener Straße angegriffen, Handgranaten werden geworfen, und jüngst trat ein Pastor aufgrund von Morddrohungen zurück.

Beängstigend ist, dass sich der Terror als gesamtgesellschaftliches Projekt bezeichnen lässt.
Die diversen GiDas, die noch immer regelmäßig Tausende auf die Straße treiben, bilden die zivilgesellschaftliche Basis, die AfD mit der Forderung nach Schießbefehl und Höckes Göbbels-Rethorik bildet den parlamentarischen Arm des Terrors, die bürgerlichen Medien bieten den öffentlichen Akteuren des Terrors eine Plattform in ihren Talkshows und Interviewspalten und schüren darüber hinaus die Angst und den Hass, die den Nährboden für den Nachschub bilden.

Aber nicht nur der rechte Terror will Menschen den Zugang zur gesellschafltichen Teilhabe verweigern.
Auch ohne offene Gewalt und oft in versteckter Form steht der gleiche Rassismus hinter Stammtischparolen, kleinen Handlungen im Alltag, institutioneller Diskriminierung und struktureller Benachteiligung.
Im Diskurs ist es immer ein diffuses „wir“, das einem diffusen „die“ gegenübergestellt wird. Beide Gruppen werden als homogen, aber einander unterschiedlich behauptet.
Dass dies in jeder Hinsicht grober Unfug ist, muss nicht weiter ausgeführt werden. Und es gibt auch im viel kleineren Rahmen kein einfaches „schwarz und weiß“.

Aber wenn es überhaupt ein sogenanntes „wir“ gibt, dann sind dieses „wir“ wir alle, die wir heute hier stehen. Dann gehören zu uns diejenigen, die heute in Mannheim und Umgebung Aktionen gegen die AfD gestartet haben.
Dann gehören zu uns diejenigen, die heute in Köln auf der Straße sind, um zu zeigen, dass unser Feminismus antirassistisch ist, diejenigen, die dem verwirrten Naziverschwörungsaufmarsch in Berlin entgegentreten.
Dann gehören zu uns alle, die für eine Welt ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Menschenverachtung kämpfen, egal an welchem Ort der Welt.
Und wir werden uns weigern, uns von Rassisten- oder rechtspopulistischem Pack als Volk beleidigen zu lassen.

Unser „wir“ ist immer nur ein „wir“ gegen sie.

Ob auf der Straße, am Arbeitsplatz, in der Nachbar_innenschaft oder in der Politik:

Rassisten aus der Deckung holen!
Gegen Rassismus heißt immer auch gegen Kapitalismus!
Für die soziale Revolution!

Antifaschistische Initiative Heidelberg/iL, 12.03.2016

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