Am 22. August 2015 haben knapp über 70 Menschen in Heidelberg unter dem Motto „Gegen staatliche Überwachung! Den Heidelberger Spitzelskandal vollständig aufklären!“ für die vollständige Aufklärung des Skandals um den LKA-Spitzel Simon Bromma demonstriert.
Der Bullenspitzel war im Jahr 2009 vom Landeskriminalamt auf die Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD) angesetzt worden. Als vermeintlicher linker Student hatte sich der Schnüffler zunächts umfassenden Einblick in verschiedene studentische, antirassistische und klimapolitische Gruppen verschafft. Immer mit dem Ziel vor Augen, die AIHD zu infiltreren. Über intensive persönliche Kontakte hatte Bromma auch private Details über Hunderte von AktivistInnen gesammelt.
Der massive Überwachungsangriff des LKA mit seinen lokalen ZuträgerInnen der Polizei ist bis heute nicht aufgeklärt. Die Betroffenen wurden noch immer nicht darüber informiert, welche Daten über sie erhoben wurden und was seither damit passiert ist.
Den etwas über 70 Demonstrantinnen stand an diesem Samstag ein großes Aufgebot an Polizeikräften unter der Leitung des Polizeirats Christian Zacherle gegenüber – was das Anliegen der Demo jedoch nur nachhaltig unterstrich. Die lächerlichste Vorstellung lieferte die Polizei jedoch direkt vor der Polizeizentrale in der Römerstraße, indem sie das Gebäude mit Mannschaftwagen und Bullen in voller Einsatzuniform vor der Demonstration „beschützte“.
In verschiedenen Redebeiträgen des AK Spitzelklage, der Roten Hilfe, des StuRa der Uni Heidelberg und der Antifaschistischen Initiative wurden die Umtriebe der Repressionorgane rund um den Spitzeleinsatz thematisiert.
Ein erster Verhandlungstermin am Verwaltungsgericht Karlsruhe wurde für den 26. August 2015 – vier Jahre nach Einreichung der Klage – angesetzt. Direkt vor der Verhandlung wird unter dem Motto „Gib Spitzeln keine Chance!“ eine Kundgebung vor dem Verwaltungsgericht von 9 bis 10 Uhr eine Kundgebung stattfinden.
Redebeitrag der AIHD auf der Demonstration am 22. August 2015
Als der LKA-Spitzel Simon Bromma enttarnt wurde, hat er sofort den Zweck seiner schmutzigen Mission eingestanden. Einen Zweck, für dessen offizielle Bestätigung die Bespitzelten erst jahrelang prozessieren mussten. Dieser Zweck war die Ausforschung der Antifaschistischen Initiative Heidelberg, der AIHD. Ein gigantischer Polizeieinsatz inklusive der Aushebelung von Grundrechten und der Bespitzelung des gesamten studentischen und alternativen Milieus in Heidelberg, nur um Informationen über eine lokal arbeitende antifaschistische Gruppe zu bekommen, die aus ihren Zielen und ihren politischen Vorstellungen nie ein Geheimnis gemacht hat? Das klingt absurd und das ist es auch.
Und doch reiht es sich ein in eine lange Reihe von Versuchen, die politische Arbeit der AIHD zu kriminalisieren und die Gruppe zu zerschlagen. Mit Ruhm bekleckert haben sich die staatlichen Organe dabei noch nie. Größeres öffentliches Aufsehen erregte der Versuch, den Realschullehrer Michael Csaszkóczy wegen seiner Mitgliedschaft in der AIHD aus dem öffentlichen Schuldienst zu entfernen. Ein Versuch, der nach vier Jahren Berufsverbot höchstinstanzlich als grundrechtswidrig verurteilt wurde. Zugrunde lagen über 20 Jahre Bespitzelung durch den Inlandsgeheimdienst, der hierzulande immer noch den irreführenden Namen „Verfassungsschutz“ tragen darf. Auch heute, acht Jahre nach seiner offiziellen Rehabilitierung besteht der Verfassungsschutz weiter darauf, ihn mit geheimdienstlichen Mitteln zu beobachten.In der Gerichtsauseinandersetzung über Csaszkóczys Überwachung hat der sogenannte Verfassungsschutz kürzlich erst geschrieben, was eigentlich an der Politik der AIHD so entsetzlich gefährlich und bedrohlich ist. Wir zitieren an dieser Stelle wörtlich, weil es so grotesk ist:
„Die AIHD beteiligt sich an der Umsetzung des Zieles linksextremistischer ‚Antifaschisten’, möglichst jedes öffentliche Auftreten von Rechtsextremisten zu unterbinden. Sie sucht die direkte Begegnung mit dem Gegner von ‚rechts‘, um rechtsextremistische Aufmärsche möglichst zu verhindern. (…) Die AIHD praktiziert antifaschistische Informations- und Aufklärungsarbeit: So veröffentlichte sie z. B. eine detaillierte Darstellung der Strukturen, Aktivitäten und Kontakte der Hammerskins im deutschen Südwesten, unter bewusster Nennung von Namen und Lebensläufen erwähnter Personen aus diesem Milieu.“
Für Nichteingeweihte muss man vielleicht erläutern, wer die Hammerskins sind: Die Hammerskins sind eines der gewalttätigsten und radikalsten klandestinen Netzwerke der Naziszene. Sie lieferten die Ideologie und die Strategien für die Terrorserie des NSU, mit dem sie auch personell verflochten waren. Und nicht zuletzt: Wie in den immer neuen Enthüllungen zum NSU-Skandal offenbar wurde, sind die Hammerskins durchsetzt mit V-Leuten des „Verfassungsschutzes“. Mit anderen Worten: Der Inlandsgeheimdienst wirft der AIHD vor, das getan zu haben, was seiner Selbstdarstellung nach eigentlich seine eigene Aufgabe gewesen wäre, nämlich die Öffentlichkeit über neonazistische Terrornetzwerke zu in-formieren. Dafür unter anderem soll die AIHD bespitzelt, verfolgt und zerschlagen werden.Es ist skandalös genug, wenn ein zwielichtiger Geheimdienst mit staat-licher Rückendeckung eine solche Politik betreibt. Über den politischen Charakter des Verfassungsschutzes besteht immerhin kaum noch ein Zweifel. Über seine schmutzigen Geschäfte und seine enge Verstrik-kung mit der Naziszene wird selbst in gutbürgerlichen und konservati-ven Zeitungen berichtet.
Der Skandal, den der Fall des Polizeispitzels Simon Bromma darstellt, ist aber noch weit größer und er greift alle zur Schau getragenen staatlichen Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit sehr viel stärker an. Denn Simon Bromma war eben kein Mann des Geheimdienstes, sondern Polizeibeamter. Es gibt in der BRD aus gutem Grund ein striktes Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst. Dieses Trennungsgebot ist eine Lehre aus der Nazivergangenheit, in der in Gestalt der Gestapo geheimdienstliche Bespitzelung, staatliche Bedrohung und das, was die Nazis unter Strafverfolgung verstanden, Hand in Hand gingen.Dieses Trennungsgebot ist in den vergangenen Jahren immer mehr ausgehöhlt worden. Offiziell, so hieß es in staatlichen Verlautbarungen, zur Bekämpfung des Terrors, tatsächlich aber, wie der Fall Simon Brommas und der AIHD zeigt, zur Einschüchterung, Kriminalisierung und Zerschlagung widerspenstiger und aufmüpfiger oppositioneller Bewegungen. Diese Aushöhlung und Durchlöcherung des Trennungsgebotes hat viele Facetten und viele Beteiligte. Teil dieser Aushöhlung ist es, wenn geheimdienstliche Spitzelquellen vom Hörensagen in Prozessen eingesetzt werden, um die staatliche Version des Ablaufs zu untermauern.
Es gehört auch zu dieser Aushöhlung, wenn – wie bei der Heidelberger Polizei üblich – die Inhalte so genannter Kooperationsgespräche des Ordnungsamtes mit Demoanmeldern von der Polizei über das Dezernat Staatsschutz direkt an den Inlandsgeheimdienst weitergereicht werden. Auch das Vorgespräch zu der heutigen Demonstration ist nicht zustandegekommen, weil Polizeirat Christian Zacherle darauf bestand, dabei zu sein und mitzuprotokollieren. Herr Zacherle ist es auch, der veranlasst, dass immer wieder absurde Ermittlungsverfahren gegen Aktivistinnen und Aktivisten eingeleitet werden. Auch wenn diese Ermittlungsverfahren später samt und sonders eingestellt werden, schlicht weil sie gegenstandslos sind, sorgen sie dafür, dass die Betroffenen einstweilen in der Kartei sind und später in der berüchtigten LiMo-Datei landen. Diese Datei mit dem Namen „Gewalttäter linksmotiviert“ (daher: LiMo) umfasst nicht etwa verurteilte „Gewalttäter“, sondern alle Linken, die der Polizei im Zusammenhang mit Ermittlungen aufgefallen sind – also auch ZeugInnen, Menschen, deren Personalien im Vorfeld einer Demonstration festgestellt wurden etc. Dennoch ist der Name mit Bedacht gewählt. Er spiegelt nicht nur das Weltbild der Polizei wider (im Gegensatz zu den „besorgten Bürgern“, die vor Flüchtlingsheimen randalieren, sind Linke eben von Natur aus gewalttätig). Man kann sich auch leicht vorstellen, was es bedeutet, wenn man in eine Polizeikontrolle gerät und der Computer ausspuckt, dass man zur Datei „linksmotivierte Gewalttäter“ gehört.
All diese alltäglichen Demontagen des Trennungsgebotes von Polizei und Geheimdienst sind aber nichts im Vergleich zu dem, was im Fall Simon Bromma geschehen ist. Die Polizei hat hier ohne jeden Verdacht auf eine Straftat selbst als Geheimdienst agiert. Simon Bromma hat mit gefälschten Ausweisen und Dokumenten gearbeitet, er hat persönliche Beziehungen und Freundschaften vorgetäuscht, um die Betroffenen zu bespitzeln und Nachteiliges über sie herauszufinden, er hat völlig legal arbeitende politische Gruppen infiltriert, um sie polizeilich auszuforschen.Entgegen aller vollmundigen Behauptungen hat die grün-rote Regierung – die selbst nicht für diesen konkreten Spitzeleinsatz verantwortlich ist -, alles getan, den Vorfall zu vertuschen, die Verantwortlichen in den Ämtern zu verbergen und zu decken. Mehr noch: Sie war nicht nur nicht bereit, zu garantieren, dass solche Bespitzelung unter grün-rot nicht mehr stattfindet, sie hat sogar mit dem neuen baden-württembergischen Polizeigesetz die Hürden für solch eine grundrechtswidrige Bespitzelung noch weiter gesenkt.
Auch wenn am kommenden Mittwoch das Gericht den Einsatz als rechtswidrig verurteilen sollte, bedeutet das leider nicht das Ende polizeilicher und geheimdienstlicher Bespitzelung linker Gruppen und Aktivitäten.
Wir werden gemeinsam wachsam und aktiv bleiben müssen, um gegen Grundrechtsabbau, staatliche Repression und die Kriminalisierung emanzipatorischer Bewegungen vorzugehen.