[Heidelberg] Die Geschichte des 30. April in Heidelberg

Fang den Hut
Seit 125 Jahren wird der 1. Mai als historischer Arbeiter*innenkampftag weltweit genutzt, um die Anliegen emanzipatorischer, linker Bestrebungen und die Forderung nach revolutionären Umgestaltungen unterdrückerischer und ausbeuterischer Kapitalverwertungsgesellschaften mit Massenstreiks und -demonstrationen in der ganzen Welt auf die Straße zu tragen. Doch gerade in Heidelberg wurde der Vorabend des 1. Mai traditionell von rechten Burschenschaften missbraucht, die ihre reaktionäre Weltanschauung mit dem so genannten Maiansingen öffentlich zelebrierten.

 

Dabei zogen die Burschen in Couleur mit Fackeln und Degen durch die Heidelberger Innenstadt, um gegen Mitternacht auf dem Marktplatz den Mai mit allerlei „volkstümlichem“ Liedgut zu begrüßen – wobei auch gern das „Deutschlandlied“ in allen drei Strophen geschmettert wurde. Pöbeleien, Angriffe auf Andersdenkende und rassistische Übergriffe gehörten ebenso zu diesem Abend wie Unterstützung aus der organisierten Neonazi-Szene, mit der zahlreiche Burschenschaften – allen voran die „Normannia“ – enge Kontakte pflegen.

Doch nicht nur diese Verstrickungen mit faschistischen Organisationen machen die Existenz und die Umtriebe der Korporationen bekämpfenswert: Erklärtes Ziel der Burschenschaften ist die Aufrechterhaltung einer nationalistischen, bürgerlich-kapitalistischen Elite auf wirtschaftlicher, militärischer, parteilicher, kultureller und gesellschaftlicher Ebene, wobei der Zugang zu diesen Schlüsselpositionen durch die Mitgliedschaft in einer Verbindung ermöglicht wird. Die Ideologie ist geprägt von Nationalchauvinismus, zahlreichen militaristischen Elementen und einem offen zur Schau getragenen patriarchalen Grundkonsens, der Frauen* eine passive Rolle als schmückende Stütze des Mannes zuschreibt. Dieses Weltbild schließt einen weiten Personenkreis aus, indem in aller Regel Frauen* und „Nicht-Deutschen“ der Zutritt zu den Korporationen ebenso verwehrt bleibt wie jenen Menschen, die ihren völkischen Nationalismus nicht teilen. Eine hierarchisch-autoritär aufgebaute Binnenstruktur, Uniformen und so genannte Mensuren (gemeint sind damit Fechtkämpfe mit scharfen Waffen) zählen hingegen zum Standard zahlreicher Verbindungen. Nach außen geben sich die Korporationen gerne „unpolitisch“ oder schmücken sich mit dem Mythos „freiheitlicher“, „demokratischer“ Ideale. Dieser beruht auf der offensichtlichen Verdrehung historischer Tatsachen und verkennt nationalistische Kontinuitäten der Verbindungen, die seit der Deklaration einer absoluten Kaisertreue durch Burschenschaften ab 1871 bestehen und auch über die NS-Zeit hinweg bis heute keine Brüche aufweisen.

Gegen die Darstellung dieser nationalistischen und frauenfeindlichen Ideologie in Form des Maiansingens, die in der Nacht zum 1. Mai die Heidelberger Altstadt prägte, regte sich ein seit den 1980er Jahren permanent breiter und entschlossener werdender antifaschistischer Widerstand, so dass der Fackelmarsch nur noch unter erheblichem Polizeischutz möglich war und schließlich aus der Innenstadt verlagert werden musste. 1997 gelang es erstmals, das reaktionäre Burschentreiben zu verhindern, als sich nach einer Demonstration der Autonomen Antifa Heidelberg etwa 1000 Antifaschist*innen auf dem Marktplatz versammelten. Die Verbindungen ließen sich nicht blicken.

Seither ist es immer wieder gelungen, nicht nur die reaktionäre Tradition der Burschenschaften zu brechen, sondern auch den dadurch frei werdenden öffentlichen Raum mit linken Inhalten zu besetzen, wie die gut besuchten antifaschistischen Straßenfeste der letzten Jahrzehnte zeigen. Antifaschistisch aktiv zu sein heißt dabei für uns nicht nur, gegen Faschist*innen auf die Straße zu gehen, sondern auch, eine radikale Gesellschaftskritik zu entwickeln und die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.

An die Erfolge der letzten Jahre wollen wir weiter anknüpfen und auch in Zukunft an diesem Abend einen antifaschistischen Aktionstag unter wechselnden Mottos durchführen. Dabei gilt weiterhin, in dieser Nacht in der Altstadt präsent zu sein, die Umtriebe der Burschen zu verhindern und deutlich zu machen, dass Korporationen abgeschafft werden müssen.

Zusammen kämpfen – zusammen feiern

Marktplatz links!

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