Schöner wohnen ohne Burschis!

Es ist Semesterstart – zig Studierende suchen wieder bezahlbaren Wohnraum in Heidelberg. Eine schier aussichtslose Aufgabe. In dieser Lage erscheinen die Anzeigen auf WG-Gesucht und Co. für Zimmer in Männer-WGs in schicken Villen für deutlich unterdurchschnittliche Mieten für einige Studenten als Lösung. Doch bei Einzug erhalten sie nicht nur eine Wohnung, sondern vor allem auch einen reaktionären „Lebensbund“. Burschenschaften und andere Studentenverbindungen nutzen die Wohnungsnot aktiv zur Anwerbung neuer „Verbindungsbrüder“ aus. Im folgenden Text nennen wir einige Gründe, warum du nicht bei ihnen einziehen solltest.

Rassistisch, sexistisch, ekelhaft

Sexismus und Misogynie, Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit und weitere Diskriminierungsformen gehören bei Studentenverbindungen zum „guten Ton“. 

2020 machte ein Vorfall auf dem Haus der Burschenschaft Normannia bundesweit Schlagzeilen: Ein Mitglied der Afrania, der zu Besuch war, wurde, weil er erzählt hatte, dass er eine jüdische Oma hat, mit Gürteln verprügelt und mit Geld beworfen. Im Prozess zeigte sich ein großer Korpsgeist der Verbindungsmitglieder – keiner wollte was gesehen haben. Im Zuge der Ermittlungen löste die Normannia ihre Aktivitas, die aktive Studentenschaft, auf.

Die Normannia ist die Nazi-Burschenschaft in Heidelberg schlechthin: Sie hat Kontakte zur Identitären Bewegung bis ins Umfeld des NSU und veranstaltete immer wieder Vorträge von Holocaustleugner*innen auf ihrem Haus unterhalb des Schlosses. Spricht mensch in Heidelberg das diskriminierende und rechte Gedankengut von Studentenverbindungen an, wird die Schuld oft auf die Normannia abgewälzt. Aber es ist nicht nur die Normannia. Das Ausmaß ist zwar nicht bei allen Verbindungen gleich – das Spektrum reicht von reaktionär bis faschistisch und entsprechend von Wegsehen bis aktiv Mitmachen bei verbalen und tätlichen Übergriffen – aber es ist eine grundlegende Struktur von Studentenverbindungen: Sie hängen einem Elite-Gedanken an, welcher unter anderem durch Rassismus, Antisemitismus, Misogynie, Queerfeindlichkeit und Ableismus Ausdruck findet und ebenso Nationalismus sowie Militarismus als Standards umfasst. 

Die meisten pflichtschlagenden Verbindungen – Landsmannschaften wie die Zaringia, Turnerschaften wie die Ghibellinia, das Corps Thuringia und die Burschenschaft Allemania – waren bis zuletzt mit der Normannia in einem Waffenring zum Fechten organisiert. Würden Fußballvereine freiwillig einen offenen Nazi-Verein in ihr Spaßturnier aufnehmen, würde ihnen auch keine*r abkaufen, dass sie kein Problem mit rechter bis nazistischer Gesinnung haben. Viele Heidelberger Verbindungen, wie zum Beispiel die Burschenschaft Allemannia, haben „Alte Herren“ (nicht mehr studierende Verbindungsmitglieder, die die Verbindung finanzieren) bei der AfD. Viele Verbindungen haben ihr nationalistisches Weltbild auch in ihren Leitsprüchen verankert, wie z.B. der „Verein Deutscher Studenten“ (VDSt), der sich nie kritisch mit seiner offen antisemitischen Gründungsgeschichte auseinandergesetzt hat und dessen Heidelberger Sektion in der Plöck mit ihren schwarz-weiß-roten Fahnen auffällt: „Mit Gott für Volk und Vaterland“.

In der Heidelberger Altstadt fallen Verbindungsmitglieder immer wieder durch Übergriffe, „rumhitlern“ oder das Singen von rechten Liedern, wie zum Beispiel der staatlich als Volksverhetzung zertifizierten „L’amour toujours“-Adaption, auf. Bis antifaschistische Gruppen Ende der 1990er das rechte Maiansingen der Verbindungen aus der Stadt verdrängten, war der Vorabend zum 1. Mai in Heidelberg jedes Jahr geprägt von rassistischen und misogynen Übergriffen. Für FLINTA*, rassifizierte Menschen, queere Menschen und Menschen mit Behinderung sind Verbindungshäuser kein sicherer Ort. 

Wer sich einen Eindruck vom Klima in einer Studentenverbindung machen möchte, kann sich den Film „Germania“ anschauen. Der Regisseur Lion Bischof begleitete dafür über Monate das Corps Germania München.

NS-Vergangenheit

Viele Studentenverbindungen behaupten, sie seien zur Zeit der NS-Herrschaft verboten und verfolgt worden. Diese Darstellung ist geschichtsrevisionistisch und schlichtweg falsch. Tatsächlich hatten sich die meisten Verbindungen in Heidelberg schon vor 1935 selbst gleichgeschaltet, fast alle hatten ihre jüdischen Mitglieder schon in der Weimarer Republik ausgeschlossen. Viele Korporierte waren schon in den frühen 1930er-Jahren NS-Organisationen wie der SA, dem NS-Studentenbund (NSDStB) und der NSDAP beigetreten. Genau deshalb war die Heidelberger SA studentisch geprägt, und der AStA war dominiert von den faschistischen Korporierten des NSDStB und anderen völkischen Verbindungslisten. Die Verbindungsstudenten hatten aktiv faschistische Hetzkampagnen mitorganisiert, etwa die Vertreibung des Professors Emil Julius Gumbel, der als Sozialist, Antimilitarist und Jude gleich ein dreifaches Feindbild war. Entsprechend steile Karrieren machten die meisten Korporierten in der NS-Zeit.

Die Verbindungen selbst wurden 1935 zwar in NS-Kameradschaften mit neuem Namen überführt, durften aber in ihren Häusern wohnen bleiben und machten als NS-Organisationen weiter. Freiwillig ehrten viele von ihnen in ihren neuen Namen NS-Veteranen. Die Burschenschaft Allemannia benannte sich beispielsweise nach dem Freicorpskämpfer Karl Heinrich Waldow und die Verbindung Karlsruhensia nach Goebbels‘ Studienfreund Richard Fliesges. Der VDSt, Verbindung des NS-Reichsstudentenführers Gustav Adolf Scheel, verankerte die Nazi-Eroberungsfantasien in seinem Namen und nannte sich Kameradschaft Westmark nach einem geplanten Verwaltungsbezirk, der französisches Staatsgebiet umfasste. Der Nazi Hanns-Martin Schleyer verließ 1935 das Corps Suevia, weil dieses ihm nicht schnell genug jüdische Alte Herren ausschloss. 1958 wurde er wieder aufgenommen und ist heute Ehrenmitglied. In Heidelberg waren die Verbindungen an den Bücherverbrennungen beteiligt. Bei der Bücherverbrennung in Heidelberg am 17. Mai 1933 hielt der Korporierte und angehende NS-Reichsstudentenführer Scheel die einleitende Hetzrede. Außerdem übernahm ein „Alter Herr“ der Studentenverbindung Frankonia die „Brandrede“, die die verfolgten Autor*innen und Werke aufzählte. Die Veranstaltung endete mit dem traditionellen Verbindungslied „Burschen heraus!“

Tatsächliche Verbote in der NS-Zeit beschränkten sich auf das Farbentragen (Verbindungsstudenten tragen die Farben der Fahne ihrer Verbindung gerne an einem Fetzen Stoff um den Oberkörper sowie an ihrer Mütze) und ein Anwerbeverbot für neue Mitglieder. Innerhalb ihrer Häuser konnten die Verbindungen weitgehend unkontrolliert weitermachen. Korporierter zu sein war kein Karrierehindernis, sondern ermöglichte weiterhin einen steilen Aufstieg in Politik und Wirtschaft. Letzten Endes fügten sich alle Verbindungen gut in das NS-Wesen ein und unterstützten das Regime und seine Politik. Die Behauptung, sie seien von den Nazis verfolgt worden, ist purer Geschichtsrevisionismus. Die Verbindungen gehören eindeutig zu den Tätern, nicht zu den Opfern. Kein Wunder, dass die Alliierten nach der Befreiung vom NS-Faschismus sämtliche Studentenverbindungen als NS-Organisationen verboten. Nach der Gründung der Bundesrepublik wurden sie schnell wieder zugelassen – nur in der DDR blieb das Verbot der rechten Männerbünde bestehen.

Diese Ereignisse liegen lange zurück, wurden aber nie kritisch aufgearbeitet und die Kontinuitäten dauern an. Und das Deutschlandlied mit allen drei Strophen singen viele Verbindungen bis heute noch oft und gerne.

Anschluss? Nein, Unterordnung!

Anschluss in einer neuen Stadt zu finden ist für viele Menschen nicht ganz einfach. Verbindungen nutzen das aus und werben mit ihrer „Gemeinschaft“. Diese ist jedoch streng hierarchisch organisiert und Neu-Mitglieder, sogenannte „Füxe“, müssen den alteingesessenen „Brüdern“ gehorchen. So müssen sie beispielsweise in einigen Verbindungen während der „Kneipen“ – streng ritualisierte Saufabende – um Erlaubnis fragen, ob sie auf die Toilette dürfen. Erhalten sie keine Erlaubnis, gilt es als „unehrenvoll“, dennoch aufs Klo zu gehen. Stattdessen wird erwartet, dass sie sich eher einpinkeln. „Ehrverlust“ wird in Verbindungen häufig mit Entzug sozialen Ansehens geahndet.

Verbindungen haben viele Veranstaltungen, an denen ihre Mitglieder teilnehmen müssen. „Füxe“ müssen viele Aufnahmekriterien erfüllen. Dazu gehört auch eine Prüfung über das Verbindungswesen. Hier wird massiver Druck auf die Anwärter ausgeübt. Dieser Stress und diese zeitliche Einbindung können sich zum Einen negativ auf das Studium auswirken. Vor allem aber können sie auch zu einer Abkapselung vom Leben außerhalb des reaktionären Männerbundes führen, was die Mitglieder noch stärker von der Verbindung abhängig macht und einen Ausstieg erschwert. Die strengen Zwänge in Verbindungen können und sollen zu einer Entfremdung von der eigenen Persönlichkeit führen: Was zählt, ist die Verbindung. Im Mittelpunkt steht das Einstehen für die kollektive Ehre.

Die „Alten Herren“ in einflussreichen beruflichen Positionen verschaffen ihren „Brüdern“ durch „Vitamin B“ – also Vetternwirtschaft – häufig eine schnelle Karriere und gutbezahlte Jobs. Dass das gelingt, zeigt der hohe Anteil von Korporierten in Regierungen, Parlamenten und Konzernleitungen. Ziel dieses Systems ist in erster Linie, wirtschaftliche und politische Machtpositionen mit reaktionären und rechten Vertretern zu besetzen. Damit will diese selbsternannte „Elite der Nation“ rassistische, nationalistische, militaristische und antifeministische Positionen auch künftig in den Schaltstellen der Macht verankern und sämtliche emanzipatorischen Veränderungen ausbremsen. Ein Grund mehr, gegen das Unwesen der Korporationen aktiv zu werden!

Alkoholismus 

In den meisten Verbindungen wird ritualisiert und völlig maßlos Alkohol getrunken. Alkoholmissbrauch gehört zum Verbindungsalltag. Dabei gibt es sozialen Druck oder sogar einen fest regulierten Trinkzwang. Über „Traditionen“ wie den „Bierjungen“ wird kompetitiv gesoffen: Fordert ein ranghöheres Verbindungsmitglied ein rangniederes Mitglied mit „Bierjunge“ heraus, müssen beide um die Wette trinken. Natürliche Anzeichen, dass mensch zu viel getrunken hat, wie Erbrechen, werden innerhalb von Verbindungen normalisiert und glorifiziert, indem es auf den Häusern spezielle Becken („Papst“) zum Erbrechen („papsten“) gibt. Viele Verbindungen haben sogar extra gefließte Keller, um nach Feiern Erbrochenes und andere menschliche Ausscheidungen mit dem Hochdruckreiniger hinausspülen zu können. 

Gewalt als Statussymbol 

Viele Verbindungen sind „schlagend“, das heißt ihre Mitglieder fechten.

Die sogenannten „Mensuren“ sind die archaischsten Unterwerfungsrituale bei Verbindungen, denn es geht nicht um einen sportlichen Fechtkampf. Stattdessen sollen die Mitglieder unbeweglich stehen – „wie eine deutsche Eiche“ – und sich systematisch oberflächliche Kopfverletzungen holen. Reflexhaft zurückzuzucken gilt als „unehrenhaft“. Weil solche Duelle eigentlich verboten sind, wurde eigens eine Sonderregelung für schlagende Verbindungen erdacht.

Bei „Mensuren“ entstandene Wunden und Narben, die sogenannten „Schmisse“, gelten als Statussymbol. Diese Gewaltverherrlichung geht soweit, dass es sogar Fälle gibt, in denen Haare in die Wunde gelegt wurde oder die Hautlappen immer wieder auseinandergezogen wurden, um den Heilungsprozess zu behindern und eine größere Narbe zu bekommen.

Mit ihren duellartigen Fecht- und demütigenden Saufritualen werden die Mitglieder zu Unterwerfung und unbedingter Loyalität „erzogen“ und tradierte Männlichkeitsbilder des 19. Jahrhunderts gepflegt.

Wie erkennst du eine Anzeige einer Verbindung?

Die Miete ist in Verbindungen im Vergleich zu ähnlich großen Zimmern in Heidelberg meist sehr gering. Außerdem betiteln sich Verbindungen auf WG-Gesucht und Co. gerne als WGs, in denen ausschließlich Männer wohnen, in einer größeren Anzahl. Häufig wohnen Verbindungen außerdem in alten, prunkvollen Häusern und Villen in der Altstadt, zum Beispiel  unterhalb des Schlosses. Ist in einer Anzeige die Miete unterdurchschnittlich, die Zahl der dort wohnenden Männer aber höher als in einer üblichen Wohnung, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich um eine Studentenverbindung handelt. Melde dich auf diese Anzeige nicht. Landest du doch aus Versehen bei einer Verbindung zur Besichtigung, lass dich von ihnen nicht einlullen und sag ihnen im Nachgang ab.

Friends don’t let friends become Burschis!

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