Ein Kommentar zum Diskurs nach dem Anschlag in Mannheim und den Exif-Recherchen, dass der Täter Mitglied einer Nazi-Gruppe war

Ein Kommentar der Seebrücke Heidelberg und der Antifaschistischen Initiative Heidelberg zum Diskurs nach dem Anschlag in Mannheim und den Exif-Recherchen, die offenlegen, dass der Täter Mitglied einer Nazigruppe war

Am Montag, den 3. März 2025, verübte in Mannheim ein Mann einen Anschlag, indem er in eine Menschenmenge fuhr. Er ermordete damit zwei Menschen und verletzte zehn Menschen, fünf davon schwer. Unsere Gedanken sind bei all denen, die von ihm ermordet oder verletzt wurden und deren Angehörigen sowie bei all denen, die die Tat mit ansehen mussten. Wir sind entsetzt über den Anschlag und wünschen allen Verletzten und Traumatisierten gute Heilung.
Entsetzt sind wir auch über die rassistische Hetze, die kurz nach der Tat in diversen sozialen Medien ausbrach. Wir sind darüber entsetzt, aber nicht überrascht, da wir diese Hetze schon von den Anschlägen in Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und München kennen. Dort haben Täter aus Saudi-Arabien, Afghanistan und Syrien auf schrecklichste Weise Menschen ermordet. Nach all diesen Anschlägen waren in der öffentlichen Debatte schnell Rassist*innen und Nazis die Lautesten. Statt um Anteilnahme und Mitgefühl für die Ermordeten, Verletzten, Traumatisierten und deren Angehörige, ging es schnell um Begrenzung von Migration. Dabei gibt es Täter*innen in jedem Land und das Land, in dem eine Person zufällig geboren wurde, sagt nichts darüber aus, wie wahrscheinlich eine Person gewalttätig wird.
Erstens: Gewalt lässt sich nicht mit der Begrenzung von Migration abschaffen, denn es gibt jährlich tausende Fälle, in denen Deutsche Menschen ermorden und verletzen. Nur ist der mediale Aufschrei bei einem deutschen Täter nicht ansatzweise damit zu vergleichen, wenn es sich auch nur irgendwie zusammen konstruieren lässt, dass der Täter einen Migrationshintergrund habe. Zum einen wird bei deutschen Täter*innen weniger berichtet, zum anderen wird die Herkunft bei ihnen oft nicht benannt. So vermittelt die mediale Berichterstattung den Eindruck, dass ein Großteil der Gewalttaten in Deutschland von Migrant*innen ausgehe: 2023 waren in der Fernsehberichterstattung, von den Fällen, in denen die Herkunft der*des Täter*in genannt wurde, 84,2% der Täter*innen Ausländer*innen, in der Zeitungsberichterstattung 82%. In der Polizeistatistik waren 2023 jedoch nur 33,3% der Gewalttäter*innen Ausländer*innen und 66,7% der Gewalttäter*innen Deutsche (Katapult 2025). Zusätzlich ist noch davon auszugehen, dass die Polizeistatistik durch Racial Profiling und die Entscheidung über Aufnahme der Ermittlungen oder Einstellung rassistisch verzerrt ist.
Zweitens: Darüber hinaus, dass sich Gewalt nicht durch die Begrenzung von Migration abschaffen lässt, ist es rassistisch, über Menschen auf Grund ihres Herkunftslandes zu urteilen. Die Begrenzung oder Abschaffung von Asyl bedeutet, dass Tausende leiden oder sterben für die Verbrechen Einzelner. Neben der moralischen Wertung dessen gibt es auch keine faktische Begründung dafür, denn, wie bereits erwähnt: Das Land, in dem eine Person zufällig geboren wurde, sagt nichts darüber aus, wie wahrscheinlich sie gewalttätig wird. Die Begrenzung oder Abschaffung von Asyl bedeutet, dass Menschen nicht aus Gebieten fliehen können, in denen sie verfolgt, gefoltert oder ermordet werden. Bedeutet, dass Zehntausende im Mittelmeer ertrinken. Bedeutet Gewalt durch Frontex und Polizei. Mit anderen Worten: Die Begrenzung von Asyl ist Gewalt!
Drittens: Da Abschiebungen von Gefährder*innen oder Gewalttäter*innen nicht verhindern, dass diese Gewalt ausüben, sondern diese nur örtlich verlagert, bedeutet die Forderung nach Abschiebung dieser zu Ende gedacht, dass es irgendwie besser sei, wenn die Gewalt woanders passiert. Es zeigt, dass das Problem derjenigen, die diese Forderung stellen, nicht primär die Gewalt ist, sondern dass diese in Deutschland und/oder gegen Deutsche passiert. Diese Sichtweise ist zutiefst rassistisch und zeugt von einem Nationalismus, dessen Egozentrik tagtäglich Ursache für Leid und Tod Tausender ist.
Mit der Begrenzung von Migration bekämpft mensch keine Gewalt, sondern Menschen!
Wenn Rechte nach einer Gewalttat durch einen Täter ohne deutschen Pass oder mit Migrationshintergrund die Begrenzung von Migration fordern, geht es ihnen nicht um die Opfer, sondern sie instrumentalisieren diese, um ihre eigene politische Agenda durchzudrücken. Nach den Anschlägen in Magdeburg und Aschaffenburg mobilisierten Nazis zu Demos und Kundgebungen in die Städte, riefen zu Pogromen gegen Migrant*innen auf und Migrant*innen berichteten von Angriffen auf offener Straße. Statt diese rechten Umtriebe zu verurteilen und die offensichtlichen Fehler in der Argumentation der Rechten zu benennen und sich davon zu distanzieren, machten sich nach Solingen, Madgeburg, Aschaffenburg und München Politiker*innen aller sogenannten „Parteien der Mitte“ die rassistische Argumentation gemein, forderten ebenfalls Begrenzungen von Migration und gaben Migrant*innen damit zum Abschuss frei. Erfahrungen aus der Geschichte, zum Beispiel Rostock-Lichtenhagen, zeigen, dass es nicht Politiker*innen der „Parteien der Mitte“ oder die Polizei sind, die sich gegen diese Gewalt stellen, sondern Antifaschist*innen. In München konnte eine Kranzniederlegung durch die AfD erfreulicherweise von ebendiesen verhindert werden.
Auch nach der Tat am Montag rollte diese Welle der rassistischen Hetze wieder los. Ohne, dass überhaupt Informationen über die Herkunft des Täters bekannt waren. Nach und nach wurde bekannt, dass es sich um Alexander Scheuermann, einen Deutschen aus Rheinland-Pfalz handelt. Rechte und Rassist*innen posaunten nach den ersten Informationen, dass diese ja noch nicht ausschließen würden, dass Alexander Scheuermann einen Migrationshintergund haben könnte, also kein „echter Deutscher“ sei. Aber auch dieser rassistischen Argumentation wurde die Grundlage entzogen, als die Nachricht kam, dass Alexander Scheuermann keinen Migrationshintergrund hat und in Heidelberg geboren ist. Allerdings sind Nazis und andere Rechte scheinbar längst darüber hinweg, offensichtlichste Fakten anzuerkennen: Timethy Bartesch, Heidelberger AfD-Gemeinderat, retweetete einen Tweet des brandenburgischen AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Christoph Berndt mit der Forderung nach Remigration, der auch noch einen Tag nach Bekanntwerden der Infos über den Täter auf Barteschs Profil zu finden war. Mittlerweile ist der Tweet dort verschwunden, möglicherweise weil Bartesch den Retweet rückgängig gemacht hat, möglicherweise aber auch nur, weil dieser selbst dem Rechtsradikalen Berndt zu unzutreffend war und dieser ihn gelöscht hat. Unter der Beileidsbekundung von Malte Kaufmann, AfD-Bundestagsabgeordneter aus Heidelberg, finden sich Kommentare wie „Ich weigere mich anzuerkennen, dass das ein Deutscher ist! Das ist keiner, verdammt, nochmal!“, bis heute unmoderiert von Malte Kaufmann.
Während in der Berichterstattung über Mannheim am Anfang medial von einem mutmaßlichen Anschlag die Rede war, änderte sich das Wording mit Bekanntwerden, dass der Täter Deutscher war: Heute, drei Tage nach dem Anschlag, sprechen viele Medien weniger von Anschlag und Terror statt von „der Todesfahrt“, „der Amokfahrt“ oder einfach nur von „der Tat“. Die Tagesschau titelte am 04.03.2025 sogar völlig verharmlosend: „Autofahrt in Menschengruppe“. Angesichts dieser Auffälligkeiten und den Schlagzeilen, die wir aus den letzten Monaten von den Anschlägen in Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und München kennen, müssen sich die Medien den Vorwurf gefallen lassen, das sie Taten je nach Herkunft des Täters unterschiedlich framen. Dieses Framing trägt zur rassistischen Hetze und zur Inszenierung von Migrant*innen als Bedrohung bei.
Aus der Politik und Polizei hieß es am Montag schnell, es gebe keine Hinweise, dass der Anschlag einen religiösen oder politischen Hintergrund hatte. Thomas Strobl, CDU-Innenminister Baden-Württembergs, sagte, die Motivation liege eher in der Person begründet. Bereits am Montagabend berichtete die Welt über Informationen aus „Sicherheitskreisen“, dass der Täter polizeibekannt war, unter anderem weil er 2018 wegen einem Hatespeech-Kommentar auf Facebook zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, wofür er einen Vermerk aus dem Bereich Rechtsextremismus bekam. Am 04.03.2025 veröffentlichte die antifaschistische Rechercheplattform Exif dann eine Recherche, dass Alexander Scheuermann Mitglied der Neonazigruppe „Ring Bund“ ist. „Ring Bund“ ist eine Gruppe aus dem Spektrum der Reichsbürger, die geführt wird von den Neonazis Bernd Zimmermann und Alexander Reichl aus Bayern, die auch einem Waffenhandelsring angehörten, mit dessen Profit, so legen es interne Informationen nahe, die AfD-nahe Organisation „Patriotische Alternative“ aufgebaut werden sollte. Alexander Scheuermann taucht auf einer Personenliste von Bernd Zimmermann auf, die 2018 geschrieben wurde. Die Bemerkung „Zuordnung: RB Ringbund“ hinter Scheuermanns Namen auf dieser Liste zeigt an, dass Alexander Scheuermann Mitglied der Gruppe ist. Außerdem sind auf der Liste seine „Fähigkeiten“ „Boxer“ und „Bolzenschusserlaubnis für Schlachtvieh“ vermerkt, sowie, dass er „persönlich bekannt“ ist. „Ring Bund“ ist, so geht es aus Unterlagen hervor, die bei den Neonazis Zimmermann und Reichl gefunden wurden, straff organisiert und arbeitet konspirativ. In ihrem Leitbild schreiben sie, dass sie „erkannt haben“, dass das Judentum, das sie als „weltweit beherrschende[…] Hochfinanz“ bezeichnen (eine weit verbreitete antisemitische Verschwörungsideologie), die Regierungen weltweit lenken würde. Dies zeigt ihr antisemitisches Weltbild. Als Ziel hielten die Nazis in den Unterlagen die „Machtablösung“ fest. Sie betonen das „Recht auf Selb
stverteidigung“. Auf der gleichen Liste, auf der der Name des Täters des Anschlags in Mannheim zu finden ist, stehen unter anderem auch Thorsten Heise (Bundesvorstand NPD/Heimat) und Björn Höcke, die beide ebenfalls den Vermerk „persönlich bekannt“ haben. Alexander Scheuermann hat nachweislich Zugang zur Mailadresse von „Ring Bund“. Am 3. Oktober 2018 nahm er am Nazi-Aufmarsch „Wir für Deutschland“ in Berlin teil.
Die Recherchen von Exif zeigen, dass Alexander Scheuermann mindestens bis ins Jahr 2018 ideologisch gefestigt war. Im Zeitraum danach taucht er bisher in keinen Daten von Nazis oder auf Aufnahmen von rechtsradikalen Veranstaltungen auf. Seine Facebook-Seite scheint teils widersprüchlich: 2020 teilte er ein Video, auf dem ein Künstler ein Hakenkreuz übermalt und kommentierte es mit den Wort „Saugeil“, was Rechte bereits dazu veranlasste, es auf Twitter so zu verdrehen, dass Scheuermann ein Linker gewesen sei. Ein Foto von 2021 zeigt ihn wieder vor der Aufschrift „Odin statt Jesus“ – ein Ausspruch, der in der rechten Szene weit verbreitet ist.
Angesichts dieser Informationen rechte Motive auszuschließen, ist fatal. Wir fordern Politiker*innen und Ermittlungsbehörden auf, die Hinweise auf Alexander Scheuermanns rechte Gesinnung ernst zu nehmen und auch in diese Richtung zu ermitteln.
Bislang wird vor allem Alexander Scheuermanns psychische Erkrankung als mögliches Motiv erwähnt. Oft wird, wie die Beratungsstelle Leuchtlinie schreibt, eine psychische Erkrankung in solchen Fällen mit Unzurechnungsfähigkeit gleichgesetzt. Die pauschalisierte Annahme, dass psychisch kranke Menschen nicht Herr*in über ihre Taten seien, ist ableistisch. Eine psychische Erkrankung schließt ein rechtes Motiv nicht aus und darf nicht benutzt werden, um eine Vernetzung in die Nazi-Szene nicht thematisieren zu müssen. Wir kennen es aus vielen Fällen, dass Ermittlungsbehörden Hinweise auf ein rechtes Tatmotiv nicht ernst nehmen, bzw. erst viel zu spät in diese Richtung ermitteln. Die Beispiele reichen von bekannten Fällen, wie den Morden des NSU, dem rechten Anschlag in Hanau oder dem Mord an Walter Lübke bis zu so skurrilen Fällen, wie dass die Polizei Thüringen 2020 eine Hakenkreuz-Fahne, die ein Mann aus dem Fenster gehängt hatte, kommentierte mit „Für einige liegt es offensichtlich nah, dass das Geschehen in Langenorla ein rechtsextremes Motiv gehabt haben muss. Da die Beweggründe aber noch nicht geklärt und erwiesen sind, werden wir uns nicht an Mutmaßungen und Spekulationen […] beteiligen.“ Im Nachgang der Tat in Magdeburg wurde nicht viel darüber gesprochen, dass sich der Täter auf Twitter als Unterstützer der AfD zeigte und nach Informationen des Verfassungsschutzes Kontakt zur Jungen Alternative sowie zu einer rechtsradikalen Influencerin suchte (Litschko 2025). Vielen reichte die Information über seine Herkunft aus Saudi-Arabien offenbar aus, um sich eine Meinung über seine Motive zu bilden. Die Bundesanwaltschaft lehnte am 23. Dezember 2024 eine Übernahme des Falls vorerst ab, weil sie kein politisches Motiv sah (Litschko 2025). Bis jetzt sind die Motive nicht geklärt.
Wir fordern Politik und Ermittlungsbehörden auf, Hinweise, die auf andere Ursachen als Alexander Scheuermanns psychische Erkrankung hinweisen, nicht unter den Tisch zu kehren. Denn „Hinweise auf eine rechte Gesinnung als Tatmotivation nicht ernst zu nehmen, bedeutet auch, eine Verharmlosung und Unsichtbarmachung des Problems rechter Gewalt“ (Leuchtlinie).
Im Gegensatz zu dem Land, in dem mensch zufällig geboren ist, gibt es Faktoren, die tatsächlich Gewalt begünstigen. Dazu gehören reaktionäre Ideologien von der politisch Rechten bis zu Islamismus, aber auch anderen fundamentalistischen Auslegungen von Religion, wie z.B. des Christentums. Dazu gehört patriarchale Männlichkeit, denn das ist eine Gemeinsamkeit der Täter aller genannten Anschläge. Und auch Marginalisierung, d.h. zum Beispiel der Umgang des Staats mit Geflüchteten, sie in überfüllte Lager einzupferchen etc., kann Gewalt befördern (Baier 2024). Diese Ursachen gilt es zu bekämpfen. Die rassistische Hetze gegen Geflüchtete lenkt davon ab. Außerdem verurteilen wir eine pauschale Stigmatisierung von psychisch kranken Menschen als Gefährder*innen, sei es Carsten Linnemann (CDU), der ein Register für psychisch Kranke fordert, oder seien es die Grünen, die in ihrem Zehn-Punkte-Plan psychische Krankheit mit „Gefährdungspotenzial“ gleichsetzen. Das Problem sind nicht psychisch kranke Menschen, sondern ein System, das psychisch krank macht und psychisch kranken Menschen keine angemessene Behandlung zukommen lässt.
Abschließend möchten wir noch den Taxi-Fahrer A. Muhammad erwähnen, der sich am Montag mit seinem Taxi mutig und selbstlos zwischen den Täter und die Menschenmenge stellte und so Schlimmeres verhinderte.
Für eine lückenlose Aufklärung und ein würdiges Gedenken, ohne Instrumentalisierung!

Quellen:
Baier, Dirk im Interview mit Winkler, Elisabeth (2024): Kriminologe im Interview. Messerangriffe in Deutschland: „Gesetze werden das Problem nicht lösen“.
Exif (2025): Täter aus Mannheim Teil einer Neonazigruppe.
Katapult (2025): So berichten Medien über Gewalttaten.
Leuchtlinie (2025): Insta-Story vom 04.03.2025.
Litschko, Konrad (2025): Magdeburg-Täter suchte Kontakt zur AfD-Jugend.
Polizei Thüringen (2020): Tweet vom 22.06.2020, mittlerweile gelöscht.
Tagesschau (2025): Nach Autofahrt in Menschengruppe. Haftbefehl gegen Tatverdächtigen. (Beitrag auf Instagram vom 04.03.2025)

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