Kein Hoffen auf den Staat

Warum wir uns der Forderung nach einem AfD-Verbot nicht anschließen

Mit der Veröffentlichung der investigativen Recherche von Correctiv zu einem geheimen Treffen zwischen namhaften Vertreter*innen der AfD, CDU, Identitären Bewegung und anderen Rechten ist die Forderung noch lauter geworden: Die AfD müsse verboten werden oder die Möglichkeit dafür geprüft werden. Der Ansatz, rechte Strukturen zu verbieten, ist weder neu noch vielversprechend. Im folgenden Text geht es darum, die Forderung nach einem Verbot der AfD kritisch einzuordnen: auch wenn wir uns im tatsächlichen Fall eines Verbots der AfD darüber nicht beklagen würden, gibt es für uns einige Gründe, uns der Forderung danach nicht anzuschließen. Gerade weil die Gefahr einer großen Machtverschiebung zu Gunsten der AfD so greifbar und real ist, bleibt im Kampf gegen sie und andere Rechte die Wahl der Mittel entscheidend. Eine kritische Reflexion der uns offenstehenden Möglichkeiten und den Folgen ihrer Anwendung auszulassen, können wir uns nicht leisten.

Keine neue Idee

Schon vor dem Bekanntwerden des klandestinen Treffens zum „Masterplan“ für massenhafte Abschiebung durch Correctiv war die Forderung nach einem Verbot der AfD lauter geworden. Stimmführend war und ist dabei unter anderem das Zentrum für politische Schönheit, das mit einer groß angelegten Kampagne für ein Verbot der Partei wirbt: Mit der eigens eingerichteten Website afd-verbot.de, einer gefälschten Ansprache von Olaf Scholz und anderen Aktionen erreichte die Gruppe große mediale Aufmerksamkeit und verleiht der Forderung nun Nachdruck. Im Fokus der Website stehen Aussagen von AfD-Politiker*innen, die beweisen sollen, dass die AfD Bestrebungen verfolge, „die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland richten.“ In einem Fernsehinterview erklärt ein Sprecher des Zentrum für politische Schönheit, dass es bei der Kampagne darum gehe, den Menschen „den Glauben an die Bundesregierung und die Handlungsfähigkeit einer wehrhaften Demokratie“ zurückzugeben.

Die Gefahr, die von der AfD ausgeht, ist nicht zu unterschätzen und wird von antifaschistischen Gruppen seit langem aufgezeigt; sollte auch nur ein Bruchteil der Visionen wahr werden, die in politischen Programmen oder Chatgruppen der AfD und ihren Unterstützer*innen herumgehen, würde das eine drastische Verschlechterung der Lebensbedingungen für viele Menschen bedeuten – allen voran für Menschen, die keinen deutschen Pass besitzen, für People of Colour, für Arme, Queers und weitere marginalisierte Gruppen, die die AfD für irrelevant oder bedrohlich für das Wohl der von ihnen definierten „Volksgemeinschaft“ hält. Mit einem Verbot soll diesen Ambitionen der Riegel vorgeschoben werden. Ein Verbotsverfahren würde bei ungewissem Ausgang Jahre – wenn nicht Jahrzehnte – dauern. Auch deshalb werden wir keine Hoffnung in ein Verbot setzen.

Der Ruf nach dem starken Staat:

Es ist unklar, ob und wie die momentane Mobilisierungswelle „gegen rechts“ die Wahlen dieses Jahr beeinflussen wird und ob sie so schnell wieder abklingt, wie sie entstand. Die Landtagswahlergebnisse und -prognosen zeichnen jedoch weiterhin ein Bild, in dem alles andere als unmöglich erscheint, dass sich die AfD mit einem kurzen Zwischenstopp als stärkste Oppositionskraft auf den Weg in die Regierungsbeteiligung macht. An vielen Stellen kämpfen antifaschistische Gruppen und Zusammenschlüsse seit Jahrzehnten um jeden Zentimeter Öffentlichkeit, den die AfD beanspruchen will und zeigen sich entschlossener denn je, der rechten Partei so viele Steine wie möglich in den Weg zu legen. Die Repressionswelle, die ihnen dabei vom Staat – in Form von Anzeigen, Hausdurchsuchungen, Gerichtsprozessen, Geld- und Haftstrafen – entgegen schlägt, ist kein Zufall, sondern eine logische Konsequenz.

Diesen Staat, in dessen Namen schon jetzt massenhafte Abschiebungen stattfinden, der Menschen in Konkurrenz zueinander setzt und Krisenlasten auf die Armen abwälzt, ruft das Zentrum für politische Schönheit an und will den Glauben an eine ehrwürdige Demokratie, die für alle Menschen da ist und in der die AfD folglich nicht existieren kann, wiederherstellen. Als Fürbitte an einen starken Staat ist die Kampagne die Steigerung und Konsequenz der Forderung nach einer Beobachtung der AfD durch den Inlandsgeheimdienst, den „Verfassungsschutz“, dessen Erkenntnisse und Deutungen eine wesentliche Grundlage für die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind. Dass dieser Umstand in vielen Bundesländern längst eingetreten ist, die AfD sich aber weiter im Höhenflug befindet, ist für viele irrelevant. Ohnehin scheint vielen Befürworter*innen egal zu sein, dass der Verfassungsschutz nach wie vor die größte Geldquelle des Rechtsterrorismus in Deutschland ist. Die AfD macht unterdessen aus ihren Ambitionen immer weniger einen Hehl: Ein Berliner AfD-Abgeordneter kommentierte die Veröffentlichung von Correctiv: „Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.“ Wir können und werden uns als Antifaschist*innen mit Blick auf die Geschichte unserer Bewegung aber grundsätzlich nicht darauf verlassen, dass ein repressiver Staat die Rechten langfristig zurückdrängt – vor allem nicht in Krisenzeiten.

In Berlin fand in Reaktion auf das „Geheimtreffen“ der AfD eine Demonstration mit zehntausenden Menschen statt, bei der auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock ihre Teilnahme medial in Szene setzten. Das Zentrum für politische Schönheit wies online auf deren Anwesenheit hin und forderte vor allem von Scholz, dass er sich um das Verbot der AfD kümmern solle, statt sich auf Demos herumzutreiben. Es ist die empörte Perspektive eines Staatsverständnisses, in dem nicht einmal zur Debatte steht, ob ein Staat seine eigenen Zwecke und Beweggründe haben könnte. Übersetzt man es in ein trotziges „Wir wollen das, deshalb müsst ihr das machen!“, darf man sich durchaus fragen, wie diese Perspektive beispielsweise beim Klimaschutz mit der Realität kompatibel ist.

Der Feind meines Feindes?

Bisher sind es nur vereinzelte Politiker*innen, die sich öffentlich zu einem Parteiverbot äußern. Einer der Gründe dafür mag auch sein, dass sich vor allem die führenden Mitglieder der Regierungsparteien nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, sich allzu offensichtlich ihrer Konkurrenz durch ein Verbot entledigen zu wollen. Tatsächlich muss festgestellt werden, dass die AfD mit den anderen Parteien um die politische Macht konkurriert – so funktioniert Parlamentarismus. Diejenigen, die gegen die AfD arbeiten, tun dies mit ihren jeweils eigenen Zielen und aus sehr unterschiedlichen Analysen. Ob aus einer möglichen Schnittmenge dieser Ziele Bündnisse gegen die AfD entstehen können, muss sehr gründlich überlegt werden, besonders wenn es um Bündnisse mit regierenden Parteien geht. Das Ziel, den Menschen „den Glauben an die Bundesregierung und die Handlungsfähigkeit einer wehrhaften Demokratie“ zurückzugeben, teilen wir sicher nicht, ebenso ist unser Maßstab zur Einordnung der AfD sicher nicht die „verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland“.

Natürlich drängt sich dennoch die Frage auf: Wie können Antifaschist*innen ein Verbot der AfD nicht gut finden, wenn die politische Rechte dadurch massiv geschwächt würde? Ein Verbot der Partei könnte unter Umständen den Rechten ihre Organisationsstruktur und finanzielle Ressourcen entziehen – könnte. Jahrelange Verbotsverfahren in anderen Fällen haben gezeigt, wie sich Rechte auf diese Szenarien vorbereiten und sich an diese Repressionsmaßnahme anpassen. Der Schaden für die politische Rechte ist nicht garantiert, während Solidarisierungseffekte die AfD weiter stärken könnten. Dass das Bundesverfassungsgericht der Argumentation folgt, dass sich aus Einzelpositionen der AfD und ihren Unterstützer*innen eine kollektive Aktion konstruieren lässt, die auf den Umsturz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtet ist, ist mit Blick auf das erste gescheiterte NPD-Verbotsverfahren – trotz aller Unterschiede – mehr als fragwürdig. Die Erfolgschancen eines solchen Verbotsverfahrens sind zweifelhaft und die rechtlichen Hürden für ein Parteienverbot (zumindest von rechten Parteien) sehr hoch. Auch dieser Umstand fließt in unsere Bewertung der Forderung ein.

Es ist ebenso wichtig, sich bewusst zu machen, was in einem Verbotsverfahren verhandelt wird – und was nicht. Denn die Ablehung der AfD durch die bürgerliche Demokratie fußt auf anderen Argumenten, als unsere. Das Bundesverfassungsgericht urteilt letztlich nicht darüber, ob eine Partei rassistisch, sozialchauvinistisch, oder antifeministisch ist, sondern ob ihre Ziele mit unserer Verfassung bzw. der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung vereinbar sind. Doch im Namen genau dieser Ordnung werden auch ohne AfD unzählige Menschen ausgebeutet, unterdrückt, abgeschoben, an Grenzen misshandelt und im Mittelmeer zum Sterben zurückgelassen. Eine Ordnung, die all das beinhaltet und mit Gesetzen noch jede weitere Grausamkeit demokratisch legitimiert, werden wir nicht verteidigen – im Gegenteil. Deshalb wird sich unsere Kritik an der AfD auch nicht auf ihre Verfassungstreue beziehen.

Die Grundlage entziehen

Die Forderung nach einem Verbot kratzt an der Oberfläche, doch dem rechten Gedankengut muss die Grundlage entzogen werden. Diese Grundlage ist keine Parteienstruktur oder Konten in der Schweiz, sondern ein System, das auf Konkurrenz und Ausbeutung basiert. Wenn wir dem rechten Gedankengut nicht durch die Beendigung von Ausbeutung und Unterdrückung die Grundlage entziehen, werden immer neue rechte Parteien und Bündnisse entstehen, solange keine linken Alternativen wahrnehmbar sind. Die AfD als Ursprung allen Übels in der politischen Landschaft zu sehen, lässt völlig außer Acht, was das autoritäre Krisenmanagement der Ampel-Regierung und jahrzehntelange neoliberale Politik angerichtet haben. Ohne die Ambitionen der AfD auch nur im Geringsten verharmlosen zu wollen, sind wir überzeugt, dass sie den kapitalistischen Normalzustand nicht infrage stellt, sondern diesen zementieren und verschärfen wird und sich damit die Lebensbedingungen der unterdrückten Klasse weiter verschlechtern werden. Dementsprechend muss auch erwähnt werden, was in der Debatte um ein Verbot logischerweise kaum Erwähnung findet: die AfD ist eine neoliberale und marktradikale Partei, von deren Finanzpolitik ausschließlich reiche Menschen profitieren würden. Die Privatisierung der Rente, die Abschaffung bzw. Senkung der Spitzensteuersätze und Rückbau des übrig gebliebenen Sozialstaats sind finanzpolitische Projekte der AfD, durch die die ärmere Hälfte der Bevölkerung in noch größerem Ausmaß für die Zeche der Reichen aufkommen soll. Diesen Kurs untermauert die AfD mit Sozialchauvinismus, Nationalismus und völkischem Rassismus als Rechtfertigung. Eine solidarische Gesellschaft, in der Menschen ungeachtet ihrer Unterschiedlichkeiten Verantwortung für- und Rücksicht aufeinander nehmen, lehnt die AfD ab. Staatliche Fürsorge soll es – wenn überhaupt – nur für eine durch die Herrschenden definierte Gruppe geben. Die Stimmungsmache gegen Migrant*innen, Erwerbslose und gewerkschaftliche Organisation, kombiniert mit Queerfeindlichkeit, Antifeminismus und Ableismus sind logische Ableitungen aus ihren politischen Vorstellungen und entspringen nicht (nur) der moralischen Verdorbenheit einzelner Politiker*innen.

Gegen rechte Politik – egal von wem!

Wenn rassistische Politik nur dann auf laute Kritik stößt, wenn sie nicht von den Grünen, sondern von der AfD kommt, ist das heuchlerisch und brandgefährlich, da es bedeutet, dass die politischen Vorgänge egal sind, solange das Label stimmt. Dass Rassismus, Sexismus und andere Unterdrückungsformen nicht erst mit der AfD in Erscheinung traten und ebenso wenig mit ihr verschwinden würden, steht ebenso fest wie die Annahme, dass die AfD an der Macht diese zu einem Hauptpfeiler der politischen Praxis machen würde und das Leben vieler Menschen in Deutschland in existenzieller Gefahr wäre. Das bedeutet, dass wir weiter gegen die AfD und ihre Netzwerke vorgehen müssen und gleichzeitig nicht aus dem Blick verlieren dürfen, wie der Rechtsruck die politische Lage in ihrer Gesamtheit beeinflusst. Die AfD ist die lauteste und weitreichendste Stimme dieses Rechtsrucks und mobilisiert Massen, während die Regierung den Klassenkampf von oben weiter vorantreibt. Die AfD bleibt unser größter Gegner – aber bei weitem nicht der einzige.

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