Am 20. Juni 2021 fand auf dem Uniplatz die antirassistische Kundgebung „Evacuate Now!“ statt, bei der in Redebeiträgen, mit Transparenten und Parolen – begleitet von den Trommeln von Rhythms of Resistance – die Evakuierung der Geflüchtetenlager an den Außengrenzen der Festung Europa gefordert wurde. Neben Beiträgen der Solicamp-Gruppe, Hintergrundinformationen zur geflüchtetenfeindlichen Politik der EU sowie Gedichten und Berichten von Refugees gab es auch Reden der AIHD/iL und der Soligruppe fytíli.
Hier der Beitrag der AIHD/iL:
Liebe Genoss*innen und Freund*innen,
es ist gut und richtig, dass wir heute hier gemeinsam gegen die menschenunwürdige Situation in den Geflüchtetenlagern an den europäischen Außengrenzen auf die Straße gehen. Die Bedingungen, die die EU-Regierungen den dort internierten Menschen aufzwingen, sind nicht mehr als Lebensbedingungen zu bezeichnen, sondern bestenfalls als Bedingungen des Dahinvegetierens oder als Leidensbedingungen.
Wir alle kennen die Berichte über die unsäglichen hygienischen Umstände, die beklemmende Enge, die mangelhafte Ernährung, die Berichte über die Zelte und anderen Behausungen, die weder vor Kälte und Regen noch vor Hitze schützen, die Berichte über Schlamm, Ratten und Seuchen und nicht zuletzt über die Ausbreitung der Coronapandemie in den Lagern, die durch diese Umstände begünstigt wird. Diese Umstände und die Perspektivlosigkeit treiben die dort gefangenen Menschen in Depressionen und Suizid, lösen brutale Gewalt gegeneinander aus, begünstigen massenhafte sexualisierte Gewalt gegen Frauen.
Und wir stehen hier, wütend und verzweifelt und mit dem innigen Wunsch, diese grauenhafte Situation zu ändern.
Wir hoffen weiterhin, dass die Regierungen endlich die Forderungen antirassistischer und zivilgesellschaftlicher Strukturen nach ein bisschen mehr Menschlichkeit – oder zumindest nach ein bisschen weniger Unmenschlichkeit – erfüllen.
Wir hoffen weiterhin, dass die Europäische Union die Bereitschaft von hunderten Städten, die sich bereiterklären, Geflüchtete aus den Lagern aufzunehmen, zur Kenntnis nimmt und dass die Bundesregierung die Umsetzung nicht länger blockiert.
Wir hoffen weiterhin, dass die Bundesregierung sich endlich wieder an das Grundrecht an Asyl erinnert, das als Konsequenz aus dem NS-Faschismus eingeführt und in den frühen 1990er Jahren demontiert wurde.
Doch Appelle allein werden uns nicht weiterbringen, denn die mörderische Politik gegen Geflüchtete ist kein Fehler im System, sondern ein bewusster Teil davon. 1982 sorgte der baden-württembergische CDU-Ministerpräsident Lothar Späth mit seinem von Rassismus triefenden Ausspruch noch für einen kleinen Aufreger: „Die Buschtrommeln sollen schon in Afrika signalisieren: Kommt nicht nach Baden-Württemberg, dort müsst ihr ins Lager.“
Damit fasste er die menschenverachtende Abschreckungspolitik prägnant zusammen, die heute zwar von den Grünen mit etwas weniger offenem Stammtisch-Rassismus begründet, aber dafür umso perfekter und weitgehender umgesetzt wird. Sie findet nicht mehr nur in der BRD statt, sondern hat sich eben in noch weit brutaleren Formen an die Außengrenzen der Festung Europa verlagert und wird unter Federführung von FRONTEX betrieben.
Es ist ein bewusster Krieg gegen Geflüchtete, der an den Außengrenzen von militärischen Truppen und paramilitärischen Banden, oftmals in Kooperation mit extralegalen Warlords und Kartellen, aber immer mit Mitteln der EU geführt wird.
Stacheldraht, Drohnen, Schusswaffen, angeblich nichttödliche Kriegswaffen wie die jüngst in der Presse thematisierten Schallkanonen, die die Trommelfelle platzen lassen können, ergänzen die Politik des Ertrinkenlassens, die Politik der Verhinderung von Seenotrettung, eine Politik, die die Rettung von Menschenleben mit hohen Strafen bedroht, wenn die geretteten Menschen keine EU-Bürger*innen, sondern im globalen Süden geboren sind.
Und die Internierung an den Außengrenzen und in den einzelnen EU-Staaten, die wissentliche Abschiebung in Krieg, Not und Tod gehören selbstverständlich dazu.
Es ist aber kein Fehler im System, das System ist der Fehler. Die mörderische Bekämpfung von Geflüchteten ist die logische Konsequenz aus der rücksichtslosen Ausbeutung der Herkunftsländer dieser Menschen, die dort neben Rohstoffen und Billigwaren für die Metropolen auch Klimakatastrophen und Massenverelendung für die dortige Bevölkerung produziert; sie ist die logische Konsequenz aus den lukrativen deutschen und europäischen Rüstungsexporten in die Herkunftsländer dieser Menschen, die vor den dortigen Kriegen in die Flucht gezwungen werden.
Das Problem ist nicht die Unwissenheit der Herrschenden über die Geschehnisse in den Geflüchtetenlagern, über das mörderische Wüten der Frontex-Truppen und über die Zehntausende, die im Mittelmeer ertrinken. Das Problem ist der Kapitalismus, für den Rassismus, Menschenverachtung und Massenmord ein ganz normaler Teil des Alltagsgeschäfts sind.
Es gilt also, nicht nur die Symptome zu bekämpfen, sondern eine ganz andere Welt zu fordern. Und nicht nur zu fordern, sondern aufzubauen. Eine Welt ohne Kapitalismus, ohne Kriege, ohne Klimazerstörung und ohne Ausbeutung und Diskriminierung, eine Welt, in der alle Menschen frei und ohne Not leben können an dem Ort, an dem es ihnen gefällt.
Das klingt utopisch, ja. Aber lasst uns mutig sein und nicht nur davon träumen, sondern dafür kämpfen, damit diese Welt Wirklichkeit wird – nur eine solche Welt ist es wert, dafür zu kämpfen.
Gemeinsam für eine Welt ohne Kapitalismus!