Wenn sich heute die deutschen Innenminister in Mainz treffen, dann beraten sie nicht nur über die verstärkte Abschottung Deutschlands gegen Flüchtlinge, über den weiteren Ausbau der so genannten Sicherheitsbehörden und damit einhergehend über den verstärkten Abbau von Grundrechten, sondern auch über die Stärkung und bessere Koordination der Geheimdienste.
Wer die Bilder vom G7-Gipfel bei Garmisch-Partenkirchen gesehen und die Berichterstattung in den Medien gelesen hat, der hat eine Vorstellung davon bekommen, wie weit sich Deutschland im Ernstfall einem Polizeistaat annähern kann, ohne dass sich ernsthafter Protest dagegen regt. Absurde Demonstrationsverbote, Drohungen und Einschüchterungen gegen Oppositionelle im Vorfeld, ein militärisches Aufgebot inklusive Armeebeteiligung, Panzern, Hubschraubern mit Wärmebildkameras haben die Region für eine Woche in eine demokratiefreie Zone und in ein Heerlager der Inneren Sicherheit verwandelt. Nicht einmal die Polizei behauptet ernsthaft, dass die Knüppel- und Pfeffergasattacken gegen eine völlig friedliche Demonstration durch irgendwelche angeblich gewaltsamen Ausschreitungen ausgelöst worden seien. Sie dienten allein der Einschüchterung und Bestrafung all derer, die sich trotz polizeilicher Drohungen an den Protesten beteiligten.
Im Alltag setzt politische Repression und staatliche Feindbekämpfung allerdings sehr viel früher an. Zurzeit wird ein neuer Anlauf genommen, die Vorratsdatenspeicherung gegen alle verfassungsrechtlichen Bedenken und unter Aushöhlung der Grundrechte durchzupeitschen. Nach den Plänen der Inneren-Sicherheits-Strateg*innen soll künftig nachvollziehbar werden, wer mit wem per Telefon oder Handy in Verbindung gestanden oder das Internet genutzt hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort der Benutzer*innen festgehalten werden. In Verbindung mit anderen Daten soll auch die Internetnutzung nachvollziehbar werden. Der hauptsächliche Zweck des Gesetzes besteht offensichtlich nicht in der Strafverfolgung – dazu wäre es ziemlich untauglich. Es geht darum, auszuforschen, wer mit wem Kontakt pflegt. Es geht darum, auszuforschen, zu isolieren und zu kriminalisieren – eine Aufgabe, die bislang hauptsächlich den Geheimdiensten zufiel.
Die Geheimdienste und insbesondere der so genannte Verfassungsschutz sollen jede radikale politische Opposition ausforschen, bekämpfen und isolieren. Wer die Kontaktverbote des „Verfassungsschutzes“ missachtet, läuft Gefahr, selbst zum Feindobjekt des Verfassungsschutzes zu werden. Immer noch wird etwa der ‚Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes‘ vorgeworfen, sich nicht von Kommunistinnen und Kommunisten abzugrenzen und sie als aktive Mitglieder in ihren Reihen zu dulden. Was für eine zynische Verhöhnung all derjenigen, die von den Nazis als politische Gegner*innen in den Konzentrationslagern eingesperrt, gefoltert und ermordet wurden!
Noch vor einem Jahr wäre es kaum vorstellbar gewesen, dass der Verfassungsschutz aus den NSU-Skandalen nicht etwa entmachtet, sondern gestärkt und mit noch größeren Machtbefugnissen hervorgeht. Dabei liegt alles offen auf dem Tisch: Jede*r, die/der es wissen will, kann wissen, dass der Verfassungsschutzbeamte Andreas Temme bei der Ermordung Halit Yozgats anwesend war, dass Zeugen gesehen haben, wie er mit einer Plastiktüte das Internetcafe verließ, in dem der Mord geschah; jede*r kann wissen, dass sich an seinen Handschuhen Schmauchspuren befanden, die zu der Tatwaffe passen. Jede*r kann wissen, wie seine Vorgesetzten ihn bestärkten, zu lügen, wie sie ihn deckten und ihm den Rücken freihielten – allen voran der hessische Innenminister Volker Bouffier persönlich.
Jeder kann wissen, dass die Agenten des Inlandsgeheimdienstes mit einer unglaublichen Anzahl an V-Leuten direkt am NSU dran waren. In der vergangenen Woche wurde bekannt, wie die Leiterin des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Mathilde Koller, versuchte, die mutmaßliche Beteiligung ihres V-Mannes Detlef Helfer am Nagelbombenanschlag in Köln zu vertuschen und unter den Teppich zu kehren.
Die Skandale ließen sich fortsetzen: Von vernichteten Akten über Nazis, die durch den Geheimdienst vor Strafverfolgung geschützt wurden bis hin zu mittlerweile mehreren toten aussagewilligen Informant*innen. Die Nähe des Inlandsgeheimdienstes zur rechten Szene ist keine Neuigkeit. Der so genannte Verfassungsschutz sieht seit seiner Gründung seine Aufgabe in der Bekämpfung, Verfolgung und Isolierung von Linken. Dabei hat er die Zusammenarbeit mit Nazis immer schon zumindest billigend in Kauf genommen. Das jüngste NPD-Verbotsverfahren scheiterte, weil die Richter*innen nicht unterscheiden konnten, wer Nazi, wer Verfassungsschützer und wer beides aus Überzeugung ist. Wörtlich attestierte das Gericht der NPD deshalb „mangelnde Staatsferne“. Wenn es opportun erscheint, wird der Geheimdienst auch dieses Mal Mittel und Wege finden, das NPD-Verbotsverfahren zum Scheitern zu bringen.
Ein Geheimdienst, der so eng mit neonazistischen Terrorgruppen verwoben ist, müsste unverzüglich aufgelöst werden – so sollte mensch meinen. Stattdessen haben sich die Innenminister darauf geeinigt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz aufgestockt wird, noch mehr Machtbefugnisse, Geld und Stellen erhält. Zudem soll der Informationsfluss zwischen Polizei und Geheimdienst verbessert werden. Mit einem Federstrich wird das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst hinweggewischt. Dieses Trennungsgebot resultierte aus den Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Terrorregime – heute stellt es für die Verantwortlichen offensichtlich nur noch ein lästiges Hindernis dar.
Dass die Strateg*innen der Inneren Sicherheit in ihrem Bestreben, die herrschende Gesellschaftsordnung zu schützen, bereit sind, nun noch verstärkt mit denen zusammenzuarbeiten, die den jüngsten Nazi-Terror gefördert, finanziert und gedeckt haben, ist ein Vorschein auf das, was uns erwartet, wenn sich die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft wirklich in einer essenziellen Krise befindet.
Wir sagen: In einer Gesellschaft, die auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität gegründet ist, haben Geheimdienste nichts verloren!
Wir fordern die sofortige Auflösung des Verfassungsschutzes und die ernsthafte Aufklärung seiner Verbrechen!
Rede der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) auf der Demonstration gegen die Innenministerkonferenz am 24.06.2015 in Mainz