Am 30. Mai wollte der Kreisverband Rhein-Neckar der faschistischen NPD eine Kundgebung unter dem Motto „Asylflut stoppen“ in Sinsheim durchführen. Am 26. Mai gaben die Nazis dann bekannt, dass die Kundgebung auf den 13. Juni verlegt werden soll.
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So heißt es beispielsweise im Facebook-Auftritt der NPD-Tarnorganisation „Asylflut stoppen – auch in Sinsheim“: „Die Stadt Sinsheim teilte uns am Samstag [23.05., d.V.] mit, dass für den 30.05 kein Platz in der Innenstadt frei sein soll. Würden wir auf den Termin bestehen, müssten wir in einen Ortsteil oder die Südstadt ausweichen. Nach langem Überlegen haben wir uns dazu entschlossen, die Kundgebung daher zu verschieben und damit dem Ordnungsamt entgegen zu kommen. Der neue Termin ist der 13.06.“ (Fehler im Original)
So wie es gegenwärtig aussieht, haben Jaeschke und Konsorten breit mobilsiert, um nicht mit einem 7er-Häuflein dazustehen. 42 Nazis haben bis zum 26. Mai bei Facebook ihr Kommen zugesagt – auch wenn das nur als unverbindlicher Anhaltspunkt genommen werden kann. Darunter Vertreter der „Freien Nationalisten Kraichgau“ wie Johannes Bachmann oder Marco Kister, zahlreiche NPD-AnhängerInnen aus der Vorder- und Westpfalz sowie Nazis aus dem Raum Aalen/Ellwangen oder aus Hessen.
Seit 2010 veranstalten faschistische Kräfte immer wieder Demonstrationen, Kundgebungen und Infostände im ganzen Kraichgau, vor allem in Sinsheim. Als maßgeblicher Akteur ist dabei vor allem der Kreisverband Rhein-Neckar der Nazi-Partei NPD zu nennen. Deren stets bieder mit Anzug und Krawatte auftretender Kreisvorsitzender Jan Jaeschke erklärte Sinsheim bei einer Kundgebung im Jahr 2013 großmäulig zur „Hauptstadt des Kreisverbands“. Die lokale NPD versucht, diesem Anspruch durch diverse Aktivitäten, wie beispielsweise dem regelmäßigen Verteilen von Flyern, „Kameradschaftsabenden“, politischen und kulturellen Veranstaltungen, gerecht zu werden. Der Selbstdarsteller Jaeschke ist zudem in überregionale NPD-Strukturen eingebunden und richtete 2013 und 2014 in Weinheim den Bundesparteitag der Nazi-Partei aus. Am 21. und 22. November 2015 will die NPD erneut in der Weinheimer Stadthalle zu ihrem Bundesparteitag zusammenkommen.
Immer wieder versuchen die Kraichgauer Nazis, unter Anleitung von NPD und den „Freien Nationalisten Kraichgau“ an vermeintlich populäre Themen anzuknüpfen. Als Beispiele können hier ihre regelmäßigen Mahnwachen „gegen Kinderschänder“ im Frühjahr oder ihre bislang rudimentär gebliebene Kampagne „Nur ein Held fährt aufs Feld“ zu Missständen in der Landwirtschaft angeführt werden. Auch ihre neuste Kampagnenidee ist als Versuch zu werten, an die bundesweit grassierende Hetze gegen AsylbewerberInnen anzuknüpfen und die öffentliche Stimmung für ihre Propaganda zu instrumentalisieren. Bereits im Jahr 2014 versuchten die Kraichgauer Nazis, dieses Thema aufzugreifen und in Waibstadt gegen Geflüchtete mobil zu machen. Sie scheiterten damals am Widerstand der BürgerInnen, die aktiv Flagge gegen die rassistischen Hetzer zeigten und eine geplante Demonstration durch Blockaden verhinderten.
Die ganze BRD erlebte in den letzten Monaten eine Welle von rassistischen Mobilisierungen, getragen mal von organisierten Neonazis, mal von RechtspopulistInnen in Zusammenarbeit mit rassistischen BürgerInnen. Während sich die sogenannte „PEGIDA“-Bewegung dabei hauptsächlich gegen eine herbeihalluzinierte „Islamisierung des Abendlandes“ richtet, machen an vielen Orten selbsternannte „Bürgerinitiativen“ gegen die Unterbringung von AsylbewerberInnen mobil, die vor Armut, Elend und Tod aus ihrer Heimat fliehen mussten.
Die neue rechte Welle wird dabei immer mehr zur Bedrohung für diejenigen, gegen die sich die reaktionäre Hetze richtet. So stiegen die Angriffe auf AsylbewerberInnenunterkünfte im Zuge der rassistischen Mobilisierungen rapide an, fast wöchentlich gibt es neue Meldungen über Brandanschläge und tätliche Übergriffe.
Auch in Sinsheim ist das gewachsene Selbstbewusstsein der Nazis immer wieder eine Bedrohung für alle, die nicht in deren menschenverachtendes Weltbild passen. So wurden schon mehrfach als antifaschistisch eingeordnete Jugendliche von Nazis körperlich angegriffen, regional bekannte NazigegnerInnen werden bedroht und eingeschüchtert und antifaschistische Aktivitäten in der Region gestört. Doch auch mehrere 100 Geflüchtete, die im Raum Sinsheim untergebracht sind, gerieten in den letzten Jahren zunehmend ins Visier der Nazis. Umso wichtiger ist daher ein starker und vielfältiger, antifaschistischer Widerstand gegen die Nazi-Umtriebe. Während antifaschistische AktivistInnen seit Jahren vor dem Problem im Kraichgau warnen, Demonstrationen organisieren und beispielsweise mit Outing-Aktionen der Nazi-Szene auch ganz konkret zusetzen, verweigern sich Bürgermeister und Stadtverwaltung seit Langem einem offensiven Vorgehen gegen die FaschistInnen. Diese Strategie des Wegschauens und Verharmlosens gipfelte im Jahr 2014 in öffentlichen Angriffen auf einen antifaschistisch aktiven Grünen-Stadtrat und dem Aufruf, nicht gegen einen angekündigten Naziaufmarsch zu protestieren.
Erst in den vergangenen Monaten scheint sich an dieser Einstellung etwas geändert zu haben. Erstmals riefen die Stadt-Offiziellen im März 2015 zum Protest auf, als die Nazis planten aufzumarschieren. Nichtsdestotrotz ging auch an diesem Tag die Polizei wieder aggressiv gegen AntifaschistInnen vor, die es nicht beim symbolischen Protest belassen und die Nazis direkt mit ihrem Widerstand konfrontieren wollten.